Das Zeitfenster wird immer enger: Bis Ende des Monats soll der Stresstest für den Stuttgart-21-Tiefbahnhof öffentlich vorgestellt werden. Darauf besteht die Bahn, denn danach muss sie nach eigenen Angaben den Zuschlag für zwei Tunnel geben, wenn sie die Aufträge nicht neu ausschreiben will. Eine Vergabe vor der Präsentation wagt sie nicht, denn das würde die Gegner wieder auf die Barrikaden treiben. Das dritte Vorbereitungstreffen Befürwortern und Gegnern des Projekts stand damit am Dienstag in Stuttgart unter keinem guten Stern.
Welche Bedeutung hatte das Vorbereitungstreffen?
Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 will eine öffentliche Diskussion der Rahmenbedingungen des Stresstests durchsetzen, also der vor der Computersimulation des Fahrplans festgesetzten Parameter etwa zu Haltezeiten und Verspätungen. Die Gegner kritisieren, dass sie in den Prozess nie einbezogen wurden. "Wenn die Bahn nicht einlenkt, steigen wir aus", droht Bündnissprecher Hannes Rockenbauch.
Sollte das Treffen platzen, wäre auch die öffentliche Präsentation des von der Verkehrsberatungsfirma sma testierten Stresstests in Gefahr; denn niemand weiß, ob Moderator Heiner Geißler sich auch für eine Veranstaltung ohne Stuttgart-21-Gegner hergeben würde.
Welche Kampflinien gibt es derzeit?
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim den vorläufigen Stopp der Bauarbeiten beantragt. Er ist davon überzeugt, dass ein neuer Planfeststellungsbeschluss nötig ist, weil die Bahn beim Eisenbahn-Bundesamt größere Grundwasser-Entnahmen für den geplanten Tiefbahnhof beantragt hat. Das von den Grünen geführte Landesumweltministerium sieht das genauso. Die Bahn hält dagegen einen Änderungsantrag für ausreichend.
Der Berliner Konzern prüft seinerseits rechtliche Schritte gegen die Landesregierung, weil er bezweifelt, dass die grün-rote Koalition ihrer vertraglichen Projektförderungspflicht nachkommt. So beschäftige Baden-Württembergs Verkehrsminister und Stuttgart-21-Gegner Winfried Hermann (Grüne) sogar die Hardliner des Widerstands, die Parkschützer, in seinem Ressort, argumentiert die Bahn.
Wie ist es um die Kosten bestellt?
Minister Hermann hat in seinem Haus Experten mit der Prüfung alter Akten beauftragt. Dabei hat er festgestellt, dass bereits die Beamten unter der abgewählten schwarz-gelben Landesregierung auf hohe Kostenrisiken, unvollständige Unterlagen und nicht nachvollziehbare Einsparpläne hingewiesen hatten. Im Oktober 2009 wurde ein Rechtsanwalt beauftragt, sich mit der Frage einer arglistigen Täuschung des Landes durch die Bahn zu beschäftigten.
Aus den Aktenvermerken geht hervor, dass Experten im Ressort der früheren Umwelt- und Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) im November 2009 die Kostenschätzungen der Gegner von mehr als 5 Milliarden Euro für realistisch hielten; das war einen Monat vor Abschluss einer Vereinbarung der Projektpartner, mit der der Gesamtkostenrahmen des neuen Bahnknotens auf 4,5 Milliarden Euro begrenzt wurde.
Warum ist mittlerweile von mehreren Stresstests die Rede?
Der von Stuttgart-21-Schlichter Geißler empfohlene Stresstest, der einen 30-prozentigen Leistungssprung des geplanten Tiefbahnhofes im Vergleich zum bestehenden Kopfbahnhof nachweisen soll, ist bahnintern vorgenommen worden. Der von der Bahn erstellte Fahrplan wird von der sma nochmals auf Plausibilität geprüft. Die Gegner vermuten, dass dabei weder Not-, Störfalle noch realistische Verspätungsvorgaben berücksichtigt wurden.
Die Gegner haben einen eigenen Stresstest vorgestellt, dabei aber weit mehr Kriterien berücksichtigt. Dazu gehören die von Geißler angemahnte Barrierefreiheit, Brandschutzkonzepte und die Anbindung der Gäubahn an den Tiefbahnhof. Die unterirdische Durchgangsstation fiel beim Stresstest des Aktionsbündnisses durch, während der bestehende Kopfbahnhof in allen Punkten mit Bravour bestand.
Was erwarten beide Seiten vom Stresstest?
Die Gegner von Stuttgart 21 wünschen sich so teure Nachbesserungsvorschläge für den Tiefbahnhof, dass die Schmerzgrenze von 4,5 Milliarden Euro überschritten und damit das Projekt beerdigt würde. Denn Grün-Rot hat sich darauf geeinigt, über ihren Beitrag von 824 Millionen Euro hinaus keine Landesmittel mehr in das Projekt fließen zu lassen. Für die Bahn geht es dagegen nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie des Projekts. Nach ihren eigenen Berechnungen würden die sich aus der Simulation ergebenden Optimierungen "nur" 40 Millionen Euro kosten.