Japan nach dem Finale: "Gut, dass das Image aufgebessert wird"

Japan nach dem Finale: "Gut, dass das Image aufgebessert wird"
Riesige Freude in Japan über den 5:3-WM-Sieg ihrer "Nadeshiko" gegen die USA - Der deutsch-japanische Doktorand Takuma Melber hat das Finale in Tokio im Fernsehen verfolgt. Im Interview mit evangelisch.de schildert er die Stimmung nach dem "Fußballwunder" und die Wirkung des WM-Sieges für das krisengebeutelte Land.
18.07.2011
Die Fragen stellte Anne Kampf

Herr Melber, was war heute los in Tokio?

Takuma Melber: Ganz wichtig ist, dass man die Zeitverschiebung bedenkt. Es war in Deutschland ja schon später Abend, als das Finale losging. Das heißt, in Japan war es 3.45 Uhr nachts, als der Anstoß erfolgte. Es waren einige Japaner wach geblieben und haben sich das Spiel angeschaut, entweder in Bars oder man kam eben so zusammen. Ich selber habe das Finale alleine geschaut und bin mitten in der Nacht extra dafür aufgestanden. Wir waren hier alle natürlich in der Hoffnung, dass die "Nadeshiko" dieses Fussballwunder vollbringen wird.

Was war es für ein Gefühl für Sie, als Japan tatsächlich im Elfmeterschießen gewonnen hat?

Melber: Es war eine riesengroße, freudige Sache für mich, weil vor dieser WM Japan zwar als Geheimfavorit galt, aber doch niemand so wirklich an einen Titelgewinn geglaubt hat. Für mich persönlich war es etwas ganz Besonderes, weil die WM in Deutschland stattfand, ich selber aber zeitgleich in Japan bin - und dann kommt eben mein persönlicher Background als Deutsch-Japaner hinzu, der dieses Finale natürlich zu einer besonderen Sache machte. Im Allgemeinen bin ich ein begeisterter Fußballfan, deswegen war das ein tolles Erlebnis. Was für mich aber mit das Tollste war: Zu sehen, wie viele meiner Freunde während des Spiels um diese Uhrzeit bei Facebook online waren und nach dem Sieg gepostet haben: "Toll! Super! Japan ist Weltmeister! Unfassbar! Unglaublich!" und so weiter.

Sah man heute auf den Straßen Leute feiern?

Melber: Es war auf jeden Fall Gesprächsthema, auch bei uns an der Universität. Man muss aber auch dazusagen: Heute ist Feiertag in Japan: "Umi no hi", der Tag des Meeres. Und dadurch, dass das Spiel heute Morgen erst so gegen sieben Uhr beendet war, ist das vielleicht nicht so die beste Zeit zum überschwenglichen Feiern – erst recht, wenn man die ganze Nacht lang wach war. Wenn abends ein Spiel vorbei ist, kann man danach noch groß feiern gehen. Sicher. In meiner näheren Umgebung im Stadtteil Waseda hat man auf jeden Fall nichts Größeres gemerkt.

Es ist wirklich eine unglaubliche Sache, dass das japanische Frauenteam das geschafft hat und damit ja auch in gewisser Weise die "Samurai Blue", die japanische Männerfußballnationalmannschaft, überholt hat. Man muss ganz klar sehen, dass in Japan die Fußballbegeisterung immer weiter steigt. Die japanische Männer-Nationalmannschaft hatten bei der WM 2010 eine gute Rolle gespielt und dieses Jahr den Asien-Cup gewonnen, was in meinem Freundeskreis sehr groß gefeiert wurde.

Die japanischen Frauen haben jetzt quasi nachgezogen. Und natürlich ist das jetzt auch ein riesengroßes Pressethema. Tagsüber läuft hier ganz viel im japanischen Fernsehen. Gerade eben habe ich kurz reingesehen: Da wurden noch einmal die Highlights vom Spiel gebracht. Japanische Sportgrößen, wie Japans Fussballlegende Kazuyoshi Miura, gratulieren. Und am frühen Abend hatte man auch noch einmal live nach Frankfurt zum Team-Hotel geschaltet und dort Interviews geführt.

Führt die WM zu größerer Beachtung des Frauenfußballs?

Melber: Vor dem Endspiel hieß es: "Lasst uns Geschichte schreiben!" Das war hier ein großes Schlagwort. Jetzt haben es die japanischen Frauen geschafft, man hat hier jetzt tatsächlich Geschichte geschrieben und den ersten großen weltweiten internationalen Fußballtitel nach Japan geholt, was die Männer eben bislang noch nicht geschafft haben. Man muss es auf der anderen Seite aber auch so sehen - so bösartig das jetzt vielleicht klingen mag - aber es sind quasi doch "nur" die Frauen, die das geschafft haben - und nicht die Männer. Wenn die japanische Herrennationalmannschaft den WM-Titel holen würde, hätte das noch einen ganz anderen Stellenwert inne. Das muss man auch ganz klar sagen.

Was aber auffällig ist: Dieses geflügelte Wort "Nadeshiko Japan", wie die Mannschaft genannt wird - Nadeshiko steht für Nelke bzw. handelt es sich um eine Ableitung von Yamato Nadeshiko, dem stilisierten Idealbild der japanischen Frau - das hatte und hat hier in Japan dieser Tage wirklich Hochkonjunktur. Man findet dieses Wort ja mittlerweile auch oft in den deutschen Medien. Das ist doch sehr interessant.

Ist Homare Sawa nun so etwas wie eine Nationalheldin geworden?

Melber: "Nationalheldin" - den Begriff würde ich persönlich nicht so in den Mund nehmen wollen, "Nationalheldin" ist vielleicht ein Stück zuviel, aber sie ist auf jeden Fall zu einer Größe des Sports in Japan geworden. Keine Frage. Eine "Sportheldin" vielleicht. Man könnte sie eventuell als eine Art "weiblichen Michal Ballack Japans" ansehen, den Stellenwert würde ich ihr zuschreiben wollen. Sie ist eben diejenige, die dieses Team zum Titel geführt hat - als Kapitänin und durch ihre fünf Tore. Was Ballack ja übrigens nicht geschafft hat.

Und: Sie war es, die heute in dem Spiel nicht nur das wichtige 2:2 gemacht hat! Nach den Gegentoren wurde Sawa im japanischen TV in Großaufnahme eingeblendet und man hat gesehen, wie sie die anderen Spielerinnen ermuntert hat, nicht aufzugeben, sondern weiterzukämpfen. Das ist hier auch immer wieder in den Nachbetrachtungen ein großes Thema: Dass die Mannschaft diese Moral gezeigt hat. Man versucht natürlich jetzt, diesen Schwung, diese Moral mitzunehmen, dass man sagt: Die Moral, die dieses Team hier gezeigt hat, die müssen wir übertragen mit Blick auf die Region Tohoku, um die aktuelle Krise zu meistern.

Matthias Scheer schrieb für evangelisch.de schon vor dem Endspiel, der Erfolg sei "Balsam für die verletzte japanische Seele". Sehen Sie das auch so?

Melber: Das würde ich auch so unterstreichen wollen, ja. Es ist auf jeden Fall eine Sache, die tut gut, die nimmt man gerne mit. Aber man muss auf der anderen Seite natürlich auch ganz klar sagen: Damit sind die Probleme nicht gelöst. Das ist jetzt hier eine tolle Sache für Japan und für die Japaner. Und auch für die Japanerinnen, ganz klar, weil man ja auch sagen muss: die japanische Gesellschaft ist bis heute doch noch stärker Männer-dominiert als es in Deutschland der Fall ist.

Von daher auf jeden Fall "Balsam für die verletzte japanische Seele", ja. Aber die Probleme sind damit nicht gelöst. Das ist jetzt eben ein Tageshighlight für heute, und es ist vielleicht auch noch diese Woche ein Gesprächsthema. Aber vielleicht schon nächste Woche ist es wahrscheinlich kein großes Thema mehr. Das schwere Erdbeben vom 11. März mit all seinen Folgen, die Radioaktivitätsgeschichte und nicht zu vergessen die wirtschaftlichen Probleme - die bleiben noch eine ganze Zeit lang Thema.

Aber vielleicht gibt es so ein bisschen Schwung für das nationale Selbstbewusstsein, dass man etwas mitnimmt aus diesem WM-Sieg...

Melber: Für Japan ist es vor allem ganz gut, dass das Image des Landes im Ausland wieder aufgebessert wird. Das hatte durch die Berichterstattung, auch der deutschen Medien, ja doch gelitten, ich meine im Bezug auf das Krisenmanagement und den Umgang der Regierung mit der Radioaktivität und so weiter. Ich glaube, das ist eigentlich der größte Erfolg an dieser Geschichte.


Takuma Melber ist als Sohn eines deutschen Vaters und einer japanischen Mutter in Süddeutschland aufgewachsen. Zurzeit verfasst er seine Doktorarbeit im Fach Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und hält sich zu Forschungszwecken in Tokio auf.