Späte Gerechtigkeit für Mord an Elisabeth Käsemann

Späte Gerechtigkeit für Mord an Elisabeth Käsemann
Sie hatten das Urteil erwartet: Opferverbände und Gewerkschaften feierten die langjährigen Haftstrafen für sieben Folterer der argentinischen Militärdiktatur (1976-1983) mit einem Rockkonzert. In "El Vesubio", einem der grausamsten Folterlager der Diktatur, wurden von 1975 bis 1978 zwischen 1.500 und 2.500 Menschen eingesperrt und gefoltert. Die meisten von ihnen verschwanden spurlos, viele wurden nachweislich getötet, wie die deutsche Studentin Elisabeth Käsemann.
15.07.2011
Von Gerhard Dilger

34 Jahre nach ihrer Ermordung verurteilte ein Bundesgericht am Donnerstag in der Hauptstadt Buenos Aires die beiden ehemaligen Militäroffiziere, General Héctor Gamen (84) und Oberst Hugo Pascarelli (81) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in 156 Fällen zu lebenslanger Haft. Fünf frühere Gefängniswärter von "El Vesubio" im Vorort Matanzas müssen Haftstrafen zwischen 18 und 22,5 Jahren verbüßen.

Die Stuttgarter Historikerin Dorothee Weitbrecht sieht in dem Urteil eine "Rehabilitierung der Opfer und ein internationales Signal zur Wahrung der Menschenrechte". Die Aufarbeitung der Diktatur bilde "das stabile gesellschaftliche und politische Fundament für die Zukunft Argentiniens", lobt Weibrecht.

Argentinien betreibt konsequente Aufarbeitung

Ein Wermutstropfen für die Überlebenden ist, dass der Hauptverantwortliche, der Kommandant des Lagers Pedro Durán Sáenz, seiner Strafe entging. Er starb am 6. Juni im Alter von 76 Jahren. Obwohl ihm nachgewiesen worden war, dass er schwangere Gefangene vergewaltigt hatte, hatte er auf freiem Fuß auf das Urteil warten können, wie auch Gamen und Pascarelli.

Das "Mahnmal für die Opfer des Staatsterrorismus" in Buenos Aires, Argentinien. Foto: epd-bild/Jürgen Vogt.

Für Argentinien, das die Aufarbeitung der Diktatur im Vergleich zu anderen südamerikanischen Ländern mit beispielloser Konsequenz betreibt, ist der Prozess ein weiterer wichtiger Schritt. Das Ende des Verfahrens, das im Februar 2010 eröffnet wurde, verfolgten Hunderte Menschen vor dem wuchtigen Gerichtsgebäude über eine Großleinwand.

Im Zentrum der Aufmerksamkeit waren die Schicksale prominenter Diktaturopfer, die zuletzt in "El Vesubio" gesehen worden waren, etwa der Schriftsteller Haroldo Conti. Seitdem der Oberste Gerichtshof 2005 die Amnestiegesetze aufhob, wurden 1.755 Personen wegen Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur angeklagt, wie die Menschenrechtsorganisation Cels ermittelt. 191 von ihnen wurden bereits zu Haftstrafen verurteilt, 15 freigesprochen.

Eine Postkarte war Elisabeths letztes Lebenszeichen

Aus deutscher Perspektive ist der Prozess bemerkenswert, weil die Bundesrepublik als Nebenklägerin auftrat. Es ist eine kleine Wiedergutmachung: Während andere Botschaften während der Diktatur mit Erfolg auf die Freilassung ihrer Bürger drängten, wird den deutschen Diplomaten trotz aller Appelle der Familie Käsemann Untätigkeit vorgeworfen. Bis heute ist Elisabeth Käsemann das in Deutschland wohl bekannteste Gesicht jener 30.000 Menschen, die während der Diktatur umgebracht wurden.

Die Tochter des renommierten Tübinger Theologen Ernst Käsemann verkörperte die Lateinamerika-Begeisterung vieler junger, politisch aktiver Deutscher. Ab 1968 arbeitete sie in bolivianischen und argentinischen Armenvierteln, nach dem Putsch in Argentinien half sie Verfolgten, außer Landes zu kommen. Im März 1977 wurde sie verhaftet, wochenlang gefoltert und am 24. Mai ermordet.

Weitbrecht hofft nun, dass das Auswärtige Amt mit der Aufarbeitung seiner Diplomatie in den 70er und den 80er Jahren beginnt. Die Historikerin war das Patenkind Elisabeth Käsemanns. Im März 1977 erhielt die damals Zehnjährige eine Postkarte ihrer Tante aus Argentinien. Es war das letzte Lebenszeichen an die Familie. 

epd