Warum es so schwierig ist, Somalia zu helfen

Warum es so schwierig ist, Somalia zu helfen
Die Menschen in Somalia sind am Ende. Bürgerkrieg, Vertreibung, Flucht - und jetzt diese Dürre. Sie fällt viel extremer aus als erwartet. Dennoch: Hinweise auf eine drohende Dürre gab es schon im März. Warum hat darauf niemand reagiert? Wieso konnte die Weltgemeinschaft den Menschen in Somalia nicht schon früher helfen?
15.07.2011
Von Anne Kampf

In Dadaab in Kenia befindet sich das derzeit größte Flüchtlingslager der Welt. 400.000 Menschen leben hier - oder sterben. Sie kommen mit letzter Kraft aus Somalia über die Grenze, weil sie in ihrer Heimat nichts mehr haben. Keinen Besitz, kein Land, keine Heimat - nichts. Manche verhungern auf der Flucht, manche sterben nach ihrer Ankunft im Lager. Wer noch etwas Kraft und Glück hat, bekommt Wasser und etwas zu essen von den Hilfsorganisationen.

"Es ist eine Schande für die Menschheit"

Helmut Hess hätte nicht gedacht, dass er eine solche Situation noch einmal zu Gesicht bekommen würde, dass er mit Müttern redet, deren Babys in ihren Armen sterben - und niemand etwas dagegen tun kann. "Es ist eine Schande für die Menschheit", sagt Hess. Seit 60 Jahren habe es in Somalia keine so schlimme Dürre mehr gegeben. (Bild links: Kinder in einem Notlager bei Mogadischu. Foto: Diakonie Katastrophenhilfe)

Hess ist Ruheständler. Er hat die Afrika-Abteilung für Brot für die Welt geleitet, jetzt engagiert er sich ehrenamtlich für die Organisation DBG (Daryeel Bulsho Guud), Partner von Brot für die Welt und der Diakonie-Katastrophenhilfe. Hess arbeitet auf lokaler Ebene für den Frieden in Somalia. Frieden würde langfristige Entwicklungshilfe und kurzfristige Nahrungsmittellieferungen erleichtern. Frieden in Somalia? - Helmut Hess hat eine große Aufgabe.

Die meisten Somalier dürften sich kaum daran erinnern, was "Frieden" bedeutet. Seit 20 Jahren befindet sich das Land in einem heftigen Bürgerkrieg, die Menschen werden immer wieder in die Flucht getrieben. Sie haben gar Möglichkeit, vernünftig Landwirtschaft zu betreiben - selbst wenn das Wetter mitspielt. "Fast ein Drittel der Bevölkerung ist auf der Flucht", erklärt Hess.

Der Ursprung der Konflikte

Die Situation ist einigermaßen verfahren. In Somalia gibt es keine funktionierende Staatsgewalt, die Übergangsregierung beherrscht nur einen kleinen Teil des Landes und wird von der Bevölkerung nicht akzeptiert. Islamistische Rebellengruppen üben Macht über die verarmte Bevölkerung aus. Die westliche Staatengemeinschaft hat versucht, in die somalischen Konflikte einzugreifen, zuletzt als Anti-Terror-Intervention, doch dadurch wurde es im Land nicht unbedingt friedlicher. Eher im Gegenteil.

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"Der Ursprung der Konflikte ist Ende der Siebziger Jahre zu suchen", erklärt Wolfgang Heinrich, Somalia-Experte beim Evangelischen Entwicklungsdienst, "als die Militärdiktatur unter Barre versuchte, eine zentrale Regierung aufzubauen." Die somalische Bevölkerung ist seit jeher dezentral in Stämmen oder Clans organisiert. Heinrich sieht den Kern des Problems darin, dass alle Welt versucht, sie in einen Zentralstaat zu zwingen: "Die Zentralisation war Auslöser für den Bürgerkrieg, und der wurde 1991 beim Sturz Barres internationalisiert."

Seit 1991 hat Somalia keine Regierung. Die Armee zerfiel in bewaffnete Milizen, die sich gegenseitig bekämpften. 1992 kamen amerikanische Truppen im Auftrag der UN, um das Land zu stabilisieren, Milizen zu entwaffnen und der notleidenden Bevölkerung zu helfen - und scheiterten. Mitte der Neunziger zogen sich die Truppen zurück und überließen Somalia sich selbst. Nur äthiopische Truppen blieben im Land. "Das Problem ist: Die Internationale Staatengemeinschaft engagiert sich militärisch, aber wenig politisch", analysiert Wolfgang Heinrich. Für die Anti-Piraten-Mission Atalanta wende Europa zum Beispiel zehnmal so viel Geld auf, wie die ganze Welt für humanitäre Hilfe in Somalia investiere. "Es ist nichts davon zu sehen, dass die Internationale Staatengemeinschaft sich um eine politische Lösung der Probleme bemüht", sagt Heinrich resigniert.

Der Islamismus wurde stärker, der Frieden blieb aus

Im Jahr 2000 wurde zwar eine Übergangsregierung gebildet, die aber keineswegs die Lage im Griff hat. Die "Union islamischer Gerichte" kämpft gegen die Übergangsregierung. Ein erneuter Eingriff der UN im Jahr 2006 führte nicht dazu, dass das Land befriedet wurde - im Gegenteil: Im Dezember 2006 eskalierte der Krieg. Der regionale Konflikt wurde zum Schauplatz des internationalen Kampfes gegen den islamistischen Terror - der wiederum auf somalischem Boden stärker wurde. Alles "Westliche" gilt den somalischen Rebellengruppen als nicht vertrauenswürdig. "Seit 2008 ist es so schlimm, dass keine internationalen Personen mehr in Somalia arbeiten", erklärt Wolfgang Heinrich.

Das ist ein Grund dafür, dass Nahrungsmittel-Lieferungen nicht so einfach an die hungernde Bevölkerung verteilt werden können. "Die Vereinten Nationen behaupten, dass sie in der Lage und bereit gewesen wären, zu helfen, aber die Rebellengruppen hätten die Hilfe verboten", ärgert sich Helmut Hess. Offenbar mangelt es an einem Verhandlungspartner. So sieht es auch Wolfgang Heinrich: Die UN wollten immer mit einer Zentrale kooperieren, erklärt er, doch die gebe es in Somalia nun einmal nicht. "Es geht nur über lokale somalische NGOs. Denen muss man Vorschussvertrauen geben", fordert der Experte. (Bild links: Wasserverteilung an notleidende Somalier. Foto: DBG/Diakonie Katastrophenhilfe)

Helmut Hess und seinen Kollegen ist genau das gelungen. Die Organisation DBG habe mit zwei islamistischen Rebellengruppen erfolgreich verhandelt - obwohl es sich dabei zum Teil um Terroristen handelt. "Wir konnten die ganze Zeit in den Rebellengebieten arbeiten", erzählt Hess, "weil wir politisch absolut neutral sind." Bisher habe DBG zwar die richtigen Kontakte, aber kein Geld gehabt. Doch jetzt habe er zusammen mit Wolfgang Heinrich erfolgreich mit dem deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und dem auswärtigen Amt verhandelt: Es soll Geld fließen. Außerdem gebe es mittlerweile Spendenaufrufe - die Hilfe dürfte in zwei, drei Tagen bei den Menschen in Somalia ankommen.

Regen in Mogadischu gibt Hoffnung

Darüber hinaus hält Wolfgang Heinrich es für notwendig, auch den Nachbarländern von Somalia zu helfen. Zum einen hat Äthiopien mittlerweile zugegeben, nach der Dürre selbst Unterstützung zu brauchen, zum andern müssten "vernünftige Auffangsituationen" für die Flüchtlinge aus Somalia geschaffen werden. "In Kenia und Äthiopien werden Flüchtlinge aus Somalia als Sicherheitsrisiken wahrgenommen und unter erbärmlichen Bedingungen in Lagern festgehalten", berichtet Heinrich. Kenia ist die Haupt-Fluchtrichtung der Somalier.

Die zweite große Flüchtlingswelle kommt in der Gegend um die somalische Hauptstadt Mogadischu an. Dort können Brot für die Welt und die Diakonie-Katastrophenhilfe über ihren Partner DBG und über die lokalen Organisationen helfen. Was die Menschen dort in großen Mengen brauchen, ist Nahrung, Wasser, Medikamente und Zeltplanen - und zwar dringend. Gerade hat Helmut Hess noch mit den Kollegen vor Ort telefoniert. "Es regnet in Mogadischu", freut er sich. "Das gibt zumindest etwas Hoffnung."


Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Politik und Gesellschaft.