Ostafrika: Wegschauen ist die größte Katastrophe

Ostafrika: Wegschauen ist die größte Katastrophe
Für Cornelia Füllkrug-Weitzel ist schnelles Handeln notwendig, um tausende Menschen vor dem Hungertod in Ostafrika zu retten. Dringend ruft die Leiterin der evangelischen Hilfswerke "Brot für die Welt" und Diakonie Katastrophenhilfe zu Spenden auf. "Die größte Katastrophe ist das Vergessen und Wegschauen", sagt die 56-jährige Pfarrerin, die Bürger und Regierungen gefordert sieht.
13.07.2011
Von Elvira Treffinger

Die Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen schlagen wegen der Hungersnot in Ostafrika Alarm. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief eindringlich zu internationaler Hilfe auf. Betroffen sind fast zwölf Millionen Menschen, vor allem in Somalia, Kenia, Äthiopien und im Sudan. Die UN-Organisationen brauchen laut Ban Ki Moon 1,6 Milliarden US-Dollar, um das Überleben der Bedürftigen zu sichern. Erst die Hälfte dieses Betrages stehe zur Verfügung. Ban kündigte an, einzelne UN-Mitgliedsstaaten direkt um Unterstützung zu bitten. "Wir können nicht länger warten", sagte er.

Islamisten kontrollieren den Süden Somalias

Der Hunger ist die Folge einer schweren Dürre. Das Welternährungsprogramm hofft, bald wieder Zugang zum Süden Somalias zu bekommen, der unter der Kontrolle radikal-islamischer Milizen steht. Die UN-Organisation hatte Anfang 2010 abziehen müssen. In Kenia kommen täglich 1.300 Flüchtlinge aus Somalia an. Die meisten haben einen wochenlange Fußmärsche hinter sich. Laut "Ärzte ohne Grenzen" können viele Kinder nicht mehr gerettet werden. In Dadaab drängen sich fast 400.000 Menschen in Flüchtlingslagern, die für 90.000 Personen ausgelegt sind. Kenia zögert bislang, ein weiteres Camp zu errichten.

Auch in der äthiopischen Region Dollo Ado ist die Lage laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk katastrophal. 23.000 Flüchtlinge seien allein im vergangenen Monat dort angekommen. Die Hälfte der Kinder unter fünf Jahren sei unterernährt. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz bezeichnete die schlechte Ernährungslage auch in fruchtbaren Regionen Somalias als alarmierend. Die Menschen seien infolge des jahrelangen Krieges immer wieder vertrieben worden und hätten ihre Felder nicht regelmäßig bestellen können.

Die frühere Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) warf der schwarz-gelben Koalition mangelnde Unterstützung der Hungernden vor. "Die Bundesregierung scheint den Ernst der Lage noch nicht erkannt zu haben", sagte sie am Mittwoch. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Kenia lediglich zusätzlich eine Million Euro zugesagt habe, erscheine nicht angemessen. Deutschland habe dem Welternährungsprorgramm für 2011 bisher erst 500.000 Euro für Ostafrika überwiesen.

"Bereits durch Konflikte und Flucht geschwächt"

Die Hungersnot trifft laut Füllkrug-Weitzel Menschen, die durch jahrzehntelange Konflikte und Flucht extrem arm und geschwächt sind. Die Chefin von "Brot für die Welt" und Diakonie Katastrophenhilfe macht die Konflikte am Horn von Afrika auch für den Mangel an Investitionen in Bildung, Stärkung der Menschenrechte, soziale Infrastruktur und Einkommensmöglichkeiten verantwortlich. Zudem sei es abzusehen gewesen, dass die Region vermehrt unter den Folgen des Klimawandels leiden würde, so die Theologin. Hier das Gespräch im Wortlaut:

Frau Füllkrug-Weitzel, aus Ostafrika kommen schreckliche Bilder von abgemagerten Menschen. Zwölf Millionen Männer, Frauen und Kinder sind von Hunger bedroht. Bahnt sich dort eine riesige Katastrophe mit vielen Toten an?

Füllkrug-Weitzel: Anbahnen scheint mir das falsche Wort. Die Katastrophe hat längst begonnen, Menschen und Herden sterben schon in der Region, die die größte Dürre seit 60 Jahren verzeichnet. Eine Dürre, die zum Beispiel in Somalia und im Sudan Menschen trifft, die durch Jahrzehnte gewaltsamer Konflikte, Zerstörung und Flucht ohnehin extrem arm, geschwächt und wenig widerstandsfähig sind.

Cornelia Füllkrug-Weitzel (56) leitet die evangelischen Hilfswerke "Brot für die Welt" und Dianie Katastrophenhilfe. Foto: epd-bild / Andreas Schoelzel

In den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bewegten dramatische Hungersnöte am Horn von Afrika die Welt. Hat man daraus nichts gelernt?

Füllkrug-Weitzel: Leider muss man sagen: Es ist zu wenig geschehen! Die Gewaltkonflikte am Horn von Afrika haben nicht nur keine Gelegenheit gelassen, in Entwicklung - das heißt in Bildung, die Stärkung der Menschenrechte, die soziale Infrastruktur und in Einkommensmöglichkeiten - zu investieren. Sie haben im Gegenteil die Voraussetzungen dafür noch weiter ruiniert. Schon länger wären entschiedene Anstrengungen zur Anpassung an die Erderwärmung notwendig gewesen. Denn dass die Region im Zuge des Klimawandels zunehmend mehr unter Dürren, unmäßigen und unregelmäßigen Regenfällen leiden würde, war abzusehen. Jetzt muss zugleich mit der Nothilfe auch an langfristigen, nachhaltigen Lösungen gearbeitet werden.

In Kenia leben bereits mehr als 380.000 Somalier im größten Flüchtlingslager der Welt. Wie können die Menschen in den Dürregebieten gerettet werden?

Füllkrug-Weitzel: Tatsächlich ist jetzt kurzfristig in sehr großem Stil internationale Hilfe bei der Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln notwendig. Die ausländischen Summen, die bisher in die Unterstützung der Menschen in der Region geflossen sind, sind lächerlich. Die größte Katastrophe ist das Vergessen und Wegschauen. Jetzt ist es an der Zeit, das zu ändern! Wir brauchen Spenden und Zusagen der Regierungen des Westens, die Mittel für die UN-Hilfswerke aufzustocken. Die kriegführenden Parteien in Süd- und Zentral-Somalia, wo die Dürre besonders dramatisch in den fruchtbarsten Gebieten des Landes wütet, müssen dazu gebracht werden, freien Zugang für humanitäre Helfer zu garantieren und deren Neutralität zu akzeptieren. Wir und unsere Partner werden weiterhin nicht bereit sein, unsere Hilfe politisch instrumentalisieren zu lassen. Alle Menschen, die hungern in der Region - egal welcher religiösen, ethnischen oder politischen Zugehörigkeit - brauchen Hilfe!

epd