Schuldenwirtschaft hat Zukunft, in Griechenland und überall

Schuldenwirtschaft hat Zukunft, in Griechenland und überall
In fast allen Industriestaaten gehören Haushaltsdefizite zum Alltag, sogar in der steinreichen Schweiz. Inzwischen scheinen sich auch die aufstrebenden Schwellenländer an ein Leben auf Pump gewöhnt zu haben. Schulden sind inzwischen normal - auf der ganzen Welt. Privatleute haben es nicht so leicht, selbstverständlich mit Schulden zu leben. Warum dürfen das die Staaten?
08.07.2011
Von Hermannus Pfeiffer

Dass Griechenland, die Wiege Europas, verschuldet ist, weiß die Welt; doch auch die Welt ist verschuldet. Deutschland, zugleich Zahlmeister der EU und deren Nutznießer, schiebt einen Schuldenberg von rund zwei Billionen Euro vor sich her. Obendrauf kommen noch Schattenhaushalte und künftige Beamtenpensionen. Der Schuldenberg wächst seit der Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 nahezu ununterbrochen, selbst in wirtschaftlich guten Zeiten.

Gemeinhin wird die Schuld am Schuldenberg verantwortungslosen Politikern gegeben, die an ihrer Wiederwahl oder den Erhalt ihrer Despotie interessiert sind. Oder gierigen Bürgern, die an heute und kaum an kommende Generationen denken und daher von ihren Regierungen neue Autobahnen, Sozialgeschenke und hohe Renten erwarten. Doch statt zu schimpfen, müssten wir den eindimensionalen Egoisten für ihre Kurzsichtigkeit wohl eher dankbar sein: Schulden sind nämlich an sich kein Übel. Ja, Staatsschulden sind sogar notwendig für eine funktionierende Volkswirtschaft.

Der Staat soll sich verschulden. Dieser Leitsatz gilt keineswegs nur in schlechten Zeiten, in denen die Politik frei nach dem britischen Ökonomen Keynes antizyklisch mit vermehrten öffentlichen Ausgaben gegensteuert. Selbst in guten Zeiten sollte die Reparaturwerkstatt des Kapitalismus Darlehen aufnehmen oder zusätzliche Einnahmen erzielen, um ein unheilvolles Loch in der Volkswirtschaft zu stopfen.

Schulden sind nützlich

Stellen wir uns die Volkswirtschaft als Modell mit drei Akteuren vor: Bürger, Unternehmen und den Staat. Im Idealfall würden alle drei gemeinsam einen geschlossenen Kreislauf bilden, in dem der eine Akteur dasjenige verbraucht, was der andere zuviel hat und umgekehrt. So weit, so gut. Doch schauen wir uns daraufhin einmal die Praxis einer Volkswirtschaft an, zum Beispiel der deutschen.

Die Bundesbürger - vor allem das obere Drittel in der Einkommenspyramide trägt dazu bei - sparen durchschnittlich rund zehn Prozent ihres Einkommens. 2010 legten die Deutschen nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes so weit mehr als 200 Milliarden Euro bei Banken, Versicherungen und Fonds auf die hohe Kante.

Dieses "überflüssige" Geld könnte sich die Wirtschaft leihen und investieren. Tut sie aber nicht, weil sie selbst Geld im Überfluss kassiert. Unternehmen investierten nämlich nicht einmal ihre gesamten Gewinne: Stattdessen sparten sie 2010 fast 200 Milliarden Euro an. Zusammen legten investitionsschwache Unternehmen und wohlhabende Bürger also in nur einem Jahr über 400 Milliarden Euro auf den Finanzmärkten an. Geldkapital, welches niemand in Fabriken, Maschinen und Büros investieren wollte und das ein tiefes Nachfrageloch in der Volkwirtschaft hinterlässt.

Um diese 400 Milliarden Euro vollständig zu nutzen, könnte der Staat einspringen, und sich das Geld pumpen oder per Steuer eintreiben, um es wieder in das realwirtschaftliche Leben einzuspeisen. Ein Stück weit tut er dies, in dem er sich neu verschuldet. Doch 2010 waren es weit weniger als 100 Milliarden Euro, die sich der Gesamtstaat aus den 400 Milliarden-Topf pumpte. Der Großteil des monetären Überschusses, rund 300 Milliarden Euro, vagabundiert seither mehr oder weniger nutzlos auf den globalen Finanzmärkten herum.

Gratwanderung auf dem Schuldenberg

Solches Übersparen passiert in der Bundesrepublik seit 1949, und laut Internationalem Währungsfonds (IWF) passiert es heute weltweit. Volkswirtschaftliche "Finanzierungsüberschüsse", wie es der deutsche Sachverständigenrat nennt, schaffen letztlich ebenso global ein Ungleichgewicht: War noch um 1980 die weltweite Realwirtschaft der Finanzwirtschaft quantitativ mit etwa 2:1 überlegen, so ist sie heute mit 1:3 deutlich unterlegen.

Eine Null-Defizit-Politik der reichen Industrieländer wäre daher keineswegs die beste aller Lösungen. Anderseits engen die anschwellenden Zinszahlungen, welche öffentliche Haushalte leisten müssen, den politischen Handlungsspielraum in Demokratien immer weiter ein. Der Staat, so der Ökonom Karl Mai, muss sich also zu einer "schwierige Gratwanderung" auf seinen Schuldenberg begeben, zwischen der grundsätzlichen Zweckmäßigkeit und den langfristig exponentiellen Zinseszinseffekten.

Dabei wird es in Zukunft selbstverständlich nicht egal sein, ob der Staat sich den Kuchen auf Pump oder durch Steuereinnahmen verschafft. Und es ist auch nicht egal, ob das Geld in totes Kapital, wie die geplanten Marathonkriegsschiffe "F125", fließt oder ob das Übersparte in Infrastrukturprojekte wie die Schulbildung oder in einen öffentlichen Beschäftigungssektor mit Multiplikatoreffekt für die Volkswirtschaft investiert wird. Die zentrale politische Frage ist daher nicht, "Staatsverschuldung ja oder nein?", sondern "Für was und für wen wird das Übersparte vom Staat eingesetzt?" Aber das ist dann ein neues Thema.


Hermannus Pfeiffer ist Wirtschaftsexperte und freier Autor in Hamburg.