TV-Tipp des Tages: "Herzlichen Glückwunsch" (ARD)

TV-Tipp des Tages: "Herzlichen Glückwunsch" (ARD)
Eine turbulente Familienkomödie mit herrlich bösartigen Dialogen und liebevoll boshaft skizzierten Figuren. Und dazu noch ein wunderbares Ensemble, auch wenn eine Geschichte fehlt.
06.07.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Herzlichen Glückwunsch", Donnerstag, 7. Juli, 20.15 Uhr in der ARD

Na, ob's das jetzt war?, fragt man sich bang nach 15 Minuten: Dann fällt er nämlich von der Leiter, der Farbeimer, den Mutter Vera dortselbst abgestellt hatte und der immer wieder bedrohlich ins Schwanken geraten war; und natürlich landet er mitten auf ihrer teuren neuen Frisur. Doch mit diesem Slapstick-Gag hat der Film sein Pulver noch lange nicht verschossen: "Herzlichen Glückwunsch" ist eine turbulente Familienkomödie mit herrlich bösartigen Dialogen und liebevoll boshaft skizzierten Figuren. Sollte Berno Kürten (Buch und Regie) mit dem Film eigene familiäre Erfahrungen verarbeitet haben, verdient der Mann das Mitleid jedes einzelnen Zuschauers.

Dank eines wunderbaren Ensembles kann es sich Kürten sogar leisten, auf eine Geschichte im klassischen Sinn komplett zu verzichten: Eigentlich will Vera (Gudrun Landgrebe) bloß Geburtstag feiern. Sie wird fünfzig und hat die gesamte Familie eingeladen; und genau das ist die Wurzel allen Übels. Denn mit jedem neuen Gast treten alte Probleme zu Tage, die von Generation zu Generation vererbt werden: Schon ihrer Mutter (Gisela Trowe), der "flotten Lotte mit der scharfen Zunge", konnte Vera nie etwas Recht machen. Genau so ungerecht behandelt sie selbst die eigene Tochter, die das wiederum nahtlos an ihre Älteste weitergibt. Der einzige Sohn ist zwar Veras ein und alles, aber bloß Flugbegleiter und nicht Pilot; und außerdem schwul.

Als Tochter Nummer zwei, Entwicklungshelferin, schließlich mit ihrem neuen Freund vor der Tür steht, gönnt sich Vera eine Ohnmacht: Der gute Mann ist Afrikaner. Das treibt die Turbulenzen auf die Spitze, denn Tante Hildegard (Irm Hermann) entpuppt sich als Rassistin alter Schule. Dann taucht auch noch Charlie (Michael Mendl) auf, Veras Jugendliebe, sehr zum Ingrimm von ihrem Gatten Werner (Walter Kreye), der Vera zu Liebe mit Hilfe von Kassetten seine panische Flugangst bekämpft. Und sollte doch mal vorübergehend Ruhe einkehren, kann man drauf wetten, dass Veras beste Freundin (Daniela Ziegler) das Chaos komplettiert.

Schon allein der Dialoge wegen ist Kürtens Film sehenswert, zumal auch den Darstellern die vielen boulevardesken Handlungsverwicklungen spürbar viel Freude bereiten. Den besten Part hat selbstredend Gudrun Landgrebe, die als Frau, der alles über den Kopf wächst und die daher ständig am Rande des Nervenzusammenbruchs balanciert, lange nicht mehr so stimmig besetzt war.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).