Abstimmung über das Leben im Reagenzglas

Abstimmung über das Leben im Reagenzglas
Es ist keine einfache Entscheidung, die die Abgeordneten im deutschen Bundestag an diesem Donnerstag zu treffen haben: Für oder gegen die Präimplantationsdiagnostik, kurz PID. Die Entscheidung ist deswegen so schwierig, weil es um Leben oder Tod, um Gesundheit oder Krankheit geht. Bevor die Abgeordneten ihre Stimmzettel abgeben, fasst evangelisch.de die wichtigsten Fragen und Antworten zur PID zusammen.

Was ist PID ?

Unter Präimplantationsdiagnostik (PID) wird die genetische Untersuchung eines Embryos vor der Einsetzung in die Gebärmutter verstanden. Das Verfahren ist daher nur bei Embryonen möglich, die durch künstliche Befruchtung (In-vitro-Fertilisation) entstanden sind. Einige Tage nach der Befruchtung wird mindestens eine Zelle des Embryos entnommen und auf Genmutationen oder Chromosomen-Anomalien untersucht. Nach dem Verfahren wird nur ein gesunder Embryo in den Mutterleib eingepflanzt. Die anderen Embryonen werden nach der Untersuchung vernichtet oder eingefroren.

Einen Antrag auf PID stellen in der Regel Eltern, die selbst eine vererbbare Krankheit oder Behinderung oder die Disposition dazu haben oder Frauen, die bereits Tot- und Fehlgeburten hinter sich haben. Sie wollen durch die Untersuchung verhindern, ein schwer krankes oder behindertes Kind zu bekommen. Auch Probleme mit den Chromosomen können ein Anwendungsgebiet der PID sein. Bei älteren Frauen steigt das Risiko, nicht die korrekte Zahl von Chromosomen in den Eizellen zu haben. Auch Männer können von diesem Problem betroffen sein. Eine typische Folge ist etwa die Trisomie 21 ("Down-Syndrom").

Warum muss über die PID abgestimmt werden?

Bis vor einem Jahr ging man davon aus, dass die PID in Deutschland laut Embryonenschutzgesetz verboten ist. Doch am 6. Juli 2010 urteilte der Bundesgerichtshof, dass Gentests an Embryonen nach künstlicher Befruchtung in bestimmten Fällen nicht strafbar sind. Damit bestätigte der BGH ein Urteil des Landgerichts Berlin. Es hatte den Berliner Gynäkologen Matthias Bloechle, der sich nach der Durchführung mehrerer Gentests selbst angezeigt hatte, freigesprochen.

Aus der Urteilsbegründung geht aber auch hervor, dass eine "unbegrenzte Selektion anhand genetischer Merkmale" mittels PID nicht zulässig ist. Es müsse um eine Untersuchung auf "schwerwiegende genetische Schäden" gehen. Eine PID etwa zur Auswahl des Geschlechts des Kindes sei weiterhin strafbar. Die Richter mahnten eine eindeutige gesetzliche Regelung an.

Welche Anträge stehen im Bundestag zur Abstimmung?

Den 620 Abgeordneten liegen drei Gesetzentwürfe vor, die jeweils aus allen Fraktionen Unterstützer haben. Wie meist bei ethisch strittigen Fragen wird bei der Abstimmung der Fraktionszwang aufgehoben, das heißt: Jeder entscheidet sich nach seiner eigenen Überzeugung für einen der drei folgenden Anträge:

Verbot der PID: Unter Federführung der Abgeordneten Günter Krings (CDU), Ulla Schmidt (SPD) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) hat die Gruppe einen Entwurf für ein komplettes Verbot von Gentests an Embryonen, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind, erarbeitet. Ärzte, die dem Verbot zuwiderhandeln, müssen mit Strafen rechnen. Die Gruppe wird von 192 Parlamentariern unterstützt, darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesforschungsministerin Annette Schavan (beide CDU).

Zulassung der PID in sehr engen Grenzen: Dieser Antrag wurde von René Röspel (SPD) und Priska Hinz (Grüne) erarbeitet. Sie werden von Patrick Meinhardt (FDP) und Norbert Lammert (CDU) sowie 32 weiteren Abgeordneten unterstützt. Nach dem Entwurf soll die PID grundsätzlich verboten, aber in Ausnahmen erlaubt sein. Vorbelasteten Paaren, die mit Fehl- oder Totgeburten rechnen müssen, soll die Möglichkeit der PID offen stehen.

Zulassung der PID in weiteren Grenzen: Die Gruppe um Ulrike Flach (FDP), Peter Hintze (CDU), Carola Reimann (SPD) und Petra Sitte (Linke) spricht sich für ein grundsätzliches Verbot der PID mit Ausnahmen aus. Wenn die Nachkommen "eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine schwerwiegende Erbkrankheit" haben oder eine genetische Schädigung bzw. eine Abweichung in den Chromosomen dazu führen würde, dass die Schwangerschaft mit einer Fehl- oder Totgeburt endet, soll PID nicht rechtswidrig sein. Das gilt auch für Krankheiten, die erst im höheren Lebensalter auftreten oder für genetische Dispositionen, die die Möglichkeit einer Erkrankung beinhalten. Eine Ethikkommission soll in jedem Einzelfall entscheiden. Die Gruppe hat 215 Unterstützer.

Was spricht für die PID?

Bei der Abwägung geht es um zwei große Themenkomplexe: Zum einen muss darüber nachgedacht werden, ob ein Zellklumpen in einer Petrischale bereits als "Mensch" gilt und damit zu schützen ist. Zum andern geht es um den Wunsch von Paaren nach gesunden Kindern und um die Frage, ob dieser Wunsch mit einem Anspruch gleichgesetzt werden kann.

Befürworter der PID argumentieren zum Beispiel, dass man einen Zellklumpen im Labor nicht als "Menschen" betrachten könne, da er nicht lebensfähig sei. Es sei unsinnig, das ungeborene Leben in diesem frühen Stadium schützen zu wollen, während andererseits Schwangerschaftsabbrüche in Fällen von bestimmten Behinderungen auch noch im späten Stadium erlaubt sind.

Den Eltern, besonders den Frauen, wollen Befürworter der PID möglichst das Leid mehrerer Fehlgeburten, Totgeburten oder Schwangerschaftsabbrüche ersparen. Aus christlicher Perspektive wird das Argument angeführt, man habe die Verantwortung, Leid zu lindern, wenn die Fähigkeiten und technischen Möglichkeiten dafür zur Verfügung stehen.

Was spricht gegen die PID?

Gegner der PID betrachten Embryos in der Petrischale, so klein sie auch sind, als schützenswertes Leben, das nicht "selektiert" und vernichtet werden darf. Christen unter den PID-Gegnern pochen grundsätzlich auf die Unantastbarkeit und Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens.

Im Hinblick auf Erbkrankheiten und Behinderungen wollen die Kritiker der PID nicht zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben entscheiden. Aus der Perspektive von chronisch kranken und behinderten Menschen sehen sie eine mögliche Zulassung der PID als entwürdigend: Kein Mensch könne über den Wert des Lebens eines anderen Menschen bestimmen.

Welche Haltung vertreten die Kirchen und der Ethikrat?

Die katholischen Bischöfe in Deutschland lehnen die PID ab. Auch der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) unterstützt ein Verbot der PID. Allerdings ist das Gremium sich nicht einig, ob das Verfahren in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig sein sollte. Einige Ratsmitglieder halten den Einsatz der PID in Fällen, bei denen es um die Lebensfähigkeit der Embryonen während der Schwangerschaft geht, für ethisch vertretbar. Trotz dieser Differenzen werde die Erklärung des Rates gemeinsam getragen, heißt es.

Der Deutsche Ethikrat hat ein gespaltenes Votum zur PID abgegeben. 13 Mitglieder empfehlen in der Stellungnahme eine begrenzte Zulassung, elf Ethikratsmitglieder befürworten ein Verbot. Darüber hinaus gibt es ein Sondervotum und eine Enthaltung. Das unabhängige Gremium, das den Bundestag und die Regierung berät, hat 26 Mitglieder, darunter Naturwissenschaftler, Mediziner, Juristen, Philosophen und Theologen.

 

evangelisch.de/mit Material von epd und dpa