Otto von Habsburg: Überzeugter Europäer und Christ

Otto von Habsburg: Überzeugter Europäer und Christ
Die Liste seiner Vornamen und Titel ist lang, obwohl Otto von Habsburg nie zum gekrönten Monarchen wurde, wie es ihm eigentlich in die Wiege gelegt war. Im Alter von 98 Jahren ist am Montag der älteste Sohn des letzten Kaisers von Österreich und Königs von Ungarn friedlich entschlafen.
04.07.2011
Von Jürgen Henkel

Ein ein überzeugter Europäer und Katholik verlässt die die Bühne, der wie kein anderer die Geschichte Europas im 20. Jahrhunderts persönlich verkörperte. Auch für die deutsche Geschichte hat Otto von Habsburg an einem entscheidenden Moment prägend gewirkt: das von der Paneuropa-Union im August 1989 am ungarischen Grenzort Sopron veranstaltete "Paneuropäische Picknick" wirkte als Ventil für hunderte dort auf die Ausreise harrender DDR-Staatsbürger, die daraufhin nach Österreich und Deutschland ausreisen konnten. Otto von Habsburg war Schirmherr der Veranstaltung.

Im Abendrot der Geschichte

Am 20. November 1912 wurde Otto von Habsburg als Sohn von Erzherzog Karl und Prinzessin Zita von Bourbon-Parma in der Villa Wartholz bei Reichenau an der Rax geboren. Es waren die letzten Jahre des greisen "ewigen Kaisers" Franz Joseph, der bei seinem Tod 1916 auf sage und schreibe 68 Jahre als Kaiser von Österreich und Oberhaupt des Hauses Habsburg zurückblicken konnte. Wie für andere europäische Monarchien bedeutete der Erste Weltkrieg auch für die Habsburger und das Kaiser- und Königreich Österreich-Ungarn eine tiefe Zäsur. Als Ottos Vater 1916 den Thron besteigt, steht die Habsburger Monarchie im Abendrot ihrer Geschichte.

Die Donaumonarchie und das Habsburger Reich brechen 1918 in sich zusammen. Wiener Schriftsteller wie Joseph Roth, Stefan Zweig und Arthur Schnitzler schufen bis heute unvergängliche literarische Zeugnisse dieser Übergangszeit des ausgehenden Habsburger Reiches. Neue gesellschaftliche und politisch-intellektuelle Strömungen kämpften mit Walzerklängen und Kaffeehäusern um die kulturelle Lufthoheit in Wien. Die Kaiserfamilie muss ins Exil. Otto von Habsburg lebt anschließend in der Schweiz und in Madeira, in Spanien und in Belgien.

1940 muss die Familie nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich und den deutschen Überfall auf Belgien vor den Nazis in die USA fliehen. Dort kämpfte von Habsburg für ein unabhängiges Österreich. Doch er konnte auch nach dem Zweiten Weltkrieg wegen des Landesverweises der Habsburger zunächst nicht nach Österreich zurückkehren. 1951 heiratete von Habsburg die deutsche Prinzessin Regina von Sachsen-Meiningen. Sie ließen sich in Pöcking am Starnberger See nieder, wo sie bis zuletzt wohnten. Erst 1966 konnte Otto von Habsburg wieder in Österreich einreisen.

Für die CSU im Europaparlament

1978 nahm er die deutsche Staatsbürgerschaft an. 1979 zog er auf der Liste der CSU in das erstmals gewählte Europäische Parlament ein. Der Einsatz für die Menschen- und Minderheitenrechte und das Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde zum wichtigsten politischen Credo von Otto von Habsburg. Er scheute sich nicht, auch lange vor 1989 die grundsätzliche Frage nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker jenseits des Eisernen Vorhangs zu stellen.

In gewissen politischen und intellektuellen Kreisen machte er sich mit seiner grundsätzlichen Kritik an der Unterdrückung der Meinungs- und Religionsfreiheit in den kommunistischen Ländern verbunden mit der Forderung nach Freiheit für die Völker Ost- und Südosteuropas sehr unbeliebt. Vielen Intellektuellen, Künstlern und Publizisten in Deutschland und Westeuropa warf er regelmäßig eine naive Sicht auf den Kommunismus und die Lage der Menschenrechte in Osteuropa vor.

Sein persönliches Engagement als Europaparlamentarier und Präsident der Paneuropa-Union wirkte motivierend auf politische und kirchliche Oppositionsbewegungen in Ost- und Südosteuropa, auch wenn er nie die mediale Breitenwirkung etwa von Papst Johannes Paul II. erreichte, mit dem ihn eine grundlegende Ablehnung des Kommunismus als politisches System verband. Unmittelbar nach der Wende von 1989 gab es in Ungarn ernsthafte Bestrebungen, die Monarchie wieder einzuführen und Otto von Habsburg zum König zu machen. Er lehnte dies ab, auch den Vorschlag, als Staatspräsident zu kandidieren. Dies war eine weise Entscheidung: an den postrevolutionären Wirren und Problemen sowie alten Seilschaften in den Transformationsstaaten sind fast alle Wendepolitiker der ersten Jahre nach 1989 gescheitert.

Osterweiterung der EU als Herzensanliegen

Otto von Habsburg konnte als Europaabgeordneter mehr für die Länder des ehemaligen Ostblocks erreichen, als wenn er ein nationales politisches Amt in Ungarn übernommen hätte. Er wirkte bis 1999 im Europaparlament, wo er sich für eine rasche Osterweiterung einsetzte. Sein großes Engagement galt der EU-Integration von Ungarn, Slowenien und zuletzt Kroatien. Auch nach seiner Zeit als Abgeordneter war er stets ein gefragter Redner und Autor, bis zuletzt auch als Ehrenpräsident der Paneuropa-Union.

Zu einer denkwürdigen Begegnung wurde 2005 das Treffen mit dem Patriarchen der Rumänischen Orthodoxen Kirche, Teoctist, in Bukarest. Nicht nur, weil der damals 90-jährige Patriarch sich freute, einmal jemand zu empfangen, der noch älter war als er selbst. Sondern die beiden Persönlichkeiten machten nationen- und kirchenübergreifend ihre tiefe Überzeugung deutlich, dass die Europäische Union nicht nur als Wirtschafts- und Freihandelszone, sondern in erster Linie als Wertegemeinschaft auf der Basis des Christentums zu verstehen sei. Entsprechend hatte sich Otto von Habsburg stets auch für einen Gottesbezug in der EU-Verfassung eingesetzt.


Dr. Jürgen Henkel ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und Publizist. Der promovierte Theologe leitete von 2003 bis 2008 die Evangelische Akademie Siebenbürgen (EAS) in Sibiu/Hermannstadt. Derzeit ist er Pfarrer in Erkersreuth bei Selb in Oberfranken.