Breite Mehrheit im Bundestag für Atomausstieg bis 2022

Breite Mehrheit im Bundestag für Atomausstieg bis 2022
Im großen Konsens hat der Bundestag den Atomausstieg bis 2022 besiegelt. Schwarz-Gelb vollzieht damit nach der Katastrophe von Fukushima eine radikale Kehrtwende.
30.06.2011
Von Georg Ismar und Tim Braune

Als erste führende Industrienation steigt Deutschland bis zum Jahr 2022 endgültig aus der Atomenergie aus. Das Parlament entschied am Donnerstag in Berlin mit breiter parteiübergreifender Mehrheit von 513 Ja-Stimmen bei 79 Nein-Stimmen und 8 Enthaltungen. SPD und Grüne unterstützten dabei den Kurs von Union und FDP. Die Linke sagte Nein.

Mit dem Atombeschluss wird die erst im Herbst beschlossene Laufzeitverlängerung um bis zu 14 Jahre zurückgenommen. Die verbleibenden neun modernen Atomkraftwerke werden stufenweise bis 2022 abgeschaltet. Acht Meiler werden sofort stillgelegt. Nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima hatte sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu einer Kehrtwende in der deutschen Atompolitik entschlossen.

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Zudem brachte der Bundestag ein über 700 Seiten starkes Gesetzespaket zur Umsetzung der schwarz-gelben Energiewende auf den Weg. Damit sollen Stromnetze schneller ausgebaut, Gebäude besser gedämmt und der Ökostromanteil bis 2020 stark erhöht werden. Die Regierung plant in den nächsten Jahren einen starken Ausbau des Ökostroms.

Bleibt ein AKW in Bereitschaft?

Rot-Grün fühlt sich als moralischer Sieger, weil die Regierung auf den alten Ausstiegsbeschluss von 2001 zurückkehrt. "Dieser Ausstieg ist unser Ausstieg", sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel.

Bis September soll die die Bundesnetzagentur entscheiden, ob eines der acht stillgelegten AKW für den Fall von Stromengpässen bis 2013 in Bereitschaft bleibt. Die Reihenfolge der Abschaltung bei den neun verbleibenden Atommeilern ist folgende: 2015 Grafenrheinfeld, 2017 Gundremmingen B, 2019 Philippsburg II, 2021 Grohnde, Brokdorf und Gundremmingen C sowie 2022 Isar II, Neckarwestheim II und Emsland.

SPD und Grüne kritisierten in einer teilweise leidenschaftlichen Debatte den Zickzack-Kurs der Kanzlerin in der Energiepolitik. Gabriel forderte Neuwahlen. "Hören Sie einfach auf. Das wäre der beste Neustart für unser Land."

Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) sprach angesichts der Entscheidung von einer Revolution: "Das ist ein sehr guter Tag für Deutschland." Nach mindestens 30-jähriger kontroverser, teils unversöhnlicher Debatte werde das Parlament einen energiepolitischen Konsens beschließen. Kein Industrieland sei beim Ausbau des Ökostroms so ehrgeizig. Im Ausland werde gesagt: "Wenn es ein Land schaffen kann, dann sind es die Deutschen."

Linke will Atomausstieg im Grundgesetz

Bei den Gesetzen zur Umsetzung der Energiewende endet aber der Konsens der Regierung mit SPD und Grünen. Diese halten etwa das Ziel von Union und FDP, den Ökostrom-Anteil von derzeit rund 19 Prozent bis 2020 auf 35 Prozent zu steigern, für zu gering. Sie fordern 40 Prozent Ökostrom bis 2020. Insgesamt wurde über ein Paket mit acht Gesetzen abgestimmt, darunter auch Regelungen für eine Offensive bei der Gebäudesanierung, um hier Energie einzusparen.

Der Atomausstieg ist nach Ansicht der Grünen nur ein Zwischenschritt. "Wir sind noch lange nicht fertig, wir fangen jetzt erst richtig an", sagte Fraktionschefin Renate Künast. Das "Ja" der Grünen zur Energiewende sei ein "Ja, aber". So sei etwa das Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energien auf 35 Prozent zu steigern, nicht ausreichend. Dennoch könne "gerne das Wort eines großen Konsenses" bemüht werden.

Die Linke forderte, den Ausstieg im Grundgesetz festzuschreiben. Dann wäre die Abkehr von der Kernenergie unumkehrbar, sagte Fraktionschef Gregor Gysi. "So bleibt es ein Atomausstieg mit Rückfahrkarte." Die großen Stromkonzerne müssten zerschlagen und die Energieversorgung wieder in die Hände der Kommunen gelegt werden.

Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler wies die Kritik der Opposition zurück. Die Entscheidungen von Schwarz-Gelb gingen deutlich über den Ausstiegsbeschluss von Rot-Grün hinaus, sagte der FDP-Vorsitzende. Die Wirtschaft werde nicht übermäßig belastet. Für deutsche Firmen böten sich im In- und Ausland sogar neue Chancen.

dpa