Am Abend, als sich die Staats- und Regierungschefs im sterilen Zweckbau des Europäischen Rates zum Essen zurückzogen, war die Stimmung gelöst. Angela Merkel schien entspannt, in weißer Hose und blauem Blazer fast wie im Urlaub, ganz erleichtert angesichts des flotten Fortgangs der Debatte. Das drückende Thema Griechenland war schnell abgehandelt, auch in dem Bewusstsein, dass der Gipfel diesmal eine eher unbedeutende Zwischenetappe auf dem Weg zur Rettung Athens und des Euro war. Entscheiden müssen nun andere, vor allem das griechische Parlament, und das schon nächste Woche.
Davor und danach hat es allerdings doch gekracht in Brüssel. Richtig Zoff gab es, da waren noch gar nicht alle da, auf dem Treffen der EVP, des Bündnisses der konservativen Parteien Europas. Der griechische Oppositionsführer Antonis Samaras war angereist, wohl wissend, dass ihm seine Parteifreunde ins Gewissen reden würden, die unbeliebten Spar- und Sanierungsprogramme der sozialistischen Regierung zur Rettung seines Heimatlandes mitzutragen.
Griechenland könnte noch kippen
Im ehrwürdigen Gebäude der Académie Royale, gleich neben dem Königspalast, ging es hoch her. "Wir haben drei Stunden auf Samaras eingeredet", berichtete ein Teilnehmer, "ohne Erfolg". Damit bleibt das Risiko, dass das griechische Parlament angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse die unpopulären Sparmaßnahmen doch nicht passieren lässt - und dann droht "Land unter" in der Euro-Zone.
Was dann passiert, darüber will die Kanzlerin nicht spekulieren. Es gibt keinen Plan B, sagt der Luxemburger Jean-Claude Juncker. Auch Merkel nennt keine Alternative. Sie hofft, dass ihr konservativer griechischer Kollege vielleicht doch den Weg geht, den Irland vorgemacht hat: Erst einmal akzeptiert die Opposition widerwillig die Sparauflagen, dann gewinnt sie die Wahlen mit dem Versprechen, neue Verhandlungen mit dem IWF zu führen - aus denen dann nichts wird.
Ob das in Griechenland klappt, weiß Merkel nicht. Die Einsicht in die Beschränktheit ihrer Möglichkeiten fällt ihr als Physikerin möglicherweise leichter als anderen. Im Grunde verhält sie sich in Brüssel nicht anders als in Berlin: abwartend, moderierend. Die Führung, die viele in der EU vermissen, ist das nicht.
Es gibt keinen Plan B in Brüssel
Am Freitag dann - die Staats- und Regierungschefs wollen nach Hause und drücken schon aufs Tempo - kommt es doch noch fast zum Eklat. Die Ernennung des Italieners Mario Draghi zum neuen Chef der Europäischen Zentralbank EZB scheitet fast, weil der amtierende Italiener im Direktorium der Bank, Lorenzo Bini Smaghi, seinen Platz nicht räumen will.
Darüber sind die Franzosen sauer, die dann überhaupt keinen Sitz in dem Führungsgremium mehr hätten. Am Ende gibt Bini Smaghi auf. Die Frage bleibt, warum dieser Konflikt nicht im Vorfeld des Gipfels hatte entschärft werden können. Merkel machte schon am Vorabend klar, dass es auf eine solche Lösung hinauslaufen würde. Die Unabhängigkeit der EZB sieht sie durch die Einmischung der Politik nicht beschädigt.
Wenig gesprochen wurde beim Brüsseler Zusammensein von Merkels Lieblingsprojekt einer Beteiligung privater Gläubiger an der Finanzierung der Griechen-Rettung. Ein paar lapidare Sätze in der Abschlusserklärung, keine Zahlen, keine Fristen. Auch keine detaillierte Unterfütterung des Vorstoßes von Kommissionspräsident José Manuel Barroso, den Griechen mit bisher nicht abgerufenen Fördergeldern unter die Arme zu greifen. Das war auch als goldene Brücke für die Opposition in Athen gedacht, um ihre Verweigerungshaltung aufzugeben.
Es gibt keinen Plan B. Die Spitzenpolitiker in Brüssel, Berlin, Paris und im Rest Europas können nur hoffen, das der Sozialist Giorgos Papandreou sein Programm durchs Parlament bringt. Papandreou selbst blieb beim Gipfel eher schweigsam. Er sei optimistisch, hieß es. Dabei ist der Widerstand der Griechen - im Parlament und auf den Straßen und Plätzen - noch nicht gebrochen.