"Das ist verfristet" - Ämter wollen verständlicher schreiben

"Das ist verfristet" - Ämter wollen verständlicher schreiben
Wenn Renate Fischer die Behördenpost ihrer Klienten durchsieht, weiß sie manchmal nicht, ob sie lachen oder weinen soll. "Widerspruch kann nicht eingelegt werden, denn die Angelegenheit ist verfristet", liest sie dann beispielsweise. Oder: "Ihrem Einspruch konnte abgeholfen werden." Was das Amt sagen will, erschließt sich selbst der rechtlichen Betreuerin aus einer Kleinstadt im Rheinland mitunter erst durch Nachfragen.
24.06.2011
Von Ulrich Jonas

"Warum verwendet man solche Worte? Das ist mir unbegreiflich", sagt die 47-Jährige, die kürzlich ein Buch über ihren Kampf mit den Behörden veröffentlicht hat. "Das ist eine Farce, wenn man sieht, was in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen steht", schimpft die Fachfrau. Tatsächlich verpflichtet das Übereinkommen der Vereinten Nationen die unterzeichnenden Staaten, zu denen Deutschland seit 2007 gehört, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten.

Menschen werden durch Behördensprache ausgeschlossen

"Es geht also etwa um leichte Sprache für Menschen mit Lernschwierigkeiten, Übersetzungen in Gebärdensprache, barrierefreies Internet von Behörden für blinde Menschen und den Einsatz von Assistenz, soweit nötig", so der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe. Zwar seien Bundesbehörden gesetzlich verpflichtet, Bescheide oder Vordrucke verständlich zu formulieren. Aber: "Ich erlebe immer wieder, dass viele Menschen mit der Behördensprache nichts anfangen können und dadurch ausgeschlossen werden."

Immerhin: Mancherorts beginnt das Umdenken. So hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) in den vergangenen eineinhalb Jahren 46 Druckvorlagen für Jobcenter-Mitarbeiter überarbeitet, weitere 45 der insgesamt 426 Vorlagen sollen bald folgen. Empfänger der neu verfassten Bescheide, so das Ergebnis einer Befragung im Jobcenter Nürnberg, beurteilen diese "durchweg positiv", so eine BA-Sprecherin. Weiterer durchaus beabsichtigter Effekt: Die Zahl der Streitfälle sinkt. Nach Behördenangaben haben in den ersten drei Monaten dieses Jahres 189.894 Langzeitarbeitslose Widerspruch eingelegt. Das sind fast 20 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum 2010 (237.147).

Neben verständlicheren Formulierungen macht die BA auch den Einsatz sogenannter Bescheiderklärer für die sinkende Zahl der Unzufriedenen verantwortlich. Wie viele Hartz-IV-Behörden dem Vorbild des Jobcenters Berlin-Mitte gefolgt sind, das seit zwei Jahren Hilfeempfängern eine hausinterne Anlaufstelle anbietet, konnte die BA-Sprecherin allerdings nicht sagen.

10.000 Textbausteine müssen neu formuliert werden

Auch die Deutsche Rentenversicherung arbeitet an kundenfreundlicheren Bescheiden. So soll die sogenannte Rentenanpassungsmitteilung ab Juli in einer sprachlich überarbeiteten Fassung verschickt werden. Auch das Begrüßungsschreiben für Neurentner werde noch dieses Jahr überarbeitet. "Der sprachliche, juristische und technische Aufwand für verständliche und rechtssichere Bescheide ist sehr groß. Vor uns liegen über 10.000 Textbausteine, die neu formuliert und für die maschinelle Verarbeitung programmiert werden müssen", teilte ein Sprecher mit.

Ein Pilotprojekt mit einem neuen Schreiben zur Erwerbsminderungsrente habe gezeigt, "dass sich durch verständlichere Bescheide viele Telefonanfragen oder Beschwerden bei der Sachbearbeitung erübrigen". Das erleichtere die Arbeit, spare Zeit und Geld und werde "unsere ohnehin schon niedrigen Verwaltungs- und Verfahrenskosten von derzeit rund 1,4 Prozent der Ausgaben weiter senken".

Betreuerin Renate Fischer fordert: "Alles, was vom Staat kommt, muss auch in einfacher Sprache zugänglich sein." Ihr Vorschlag für eine menschenfreundlichere Behördenpraxis: Die Ämter sollen den Sachverhalt mit klaren Worten zusammenfassen und den komplizierten, rechtssicheren Bescheid einfach beilegen.

Literaturhinweis: Renate Fischer, "Herz IV. Aus dem Alltag einer rechtlichen Betreuerin", Psychiatrie Verlag, Bonn 2011, 252 S., 14,95 Euro 

epd