Alte Kirchen: Besser Umnutzung als Untergang

Alte Kirchen: Besser Umnutzung als Untergang
Demografischer Wandel und Abwanderung stellen Kirchengemeinden in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern vor Probleme. Es gibt viel zu wenige Gottesdienstbesucher, so dass die alten, oft denkmalgeschützten Kirchen den Gemeinden zur Last werden. Auf dem Kirchbautag in Rostock geht es um neue Visionen für alte Kirchengebäude.
23.06.2011
Von Anke Lübbert

Vor der Feldsteinkirche St. Nikolai im vorpommerschen Bauer sitzt Rudolf Humrich im zerschlissenen Arbeitsanzug auf einer Bank. Der 71-jährige Küster erhebt sich, zückt ein großes Schlüsselbund und öffnet den Besuchern. Wenn man sich in sein Plattdeutsch eingehört hat, begreift man: Die Kirche ist sein Wohnzimmer, sein Lebensinhalt. In dem Gebäude aus dem 13. Jahrhundert gibt es eine barocke Bohlendecke mit aufwendiger Bemalung. Es riecht ein wenig muffig, wie in einem feuchten Keller. Um das bedeutendste Gebäude des Dorfes zu erhalten, hat Humrich Allianzen geschmiedet.

Seine wichtigste Verbündete ist Birgit Berge, eine junge Frau aus dem Ort. Als sie heiraten wollte, fielen ihr und ihrem künftigen Mann der schlechte Zustand der Dorfkirche auf. Sie suchten sich Mitstreiter, gründeten einen Kirchbauverein, überzeugten Stiftungen und Spender, richteten eine Internetseite ein und betrieben Öffentlichkeitsarbeit. Der Verfall der Kirche ist vorerst gestoppt.

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Außer in Sachsen-Anhalt kommen in keinem anderen Bundesland so viele Kirchen auf so wenige Menschen wie in Mecklenburg-Vorpommern. Schuld sind der demografische Wandel und die Abwanderung. Für die kleinen Landeskirchen Pommerns und Mecklenburgs sind die größtenteils denkmalgeschützten Gotteshäuser eine schwere Last. Allein der schrumpfenden Pommerschen Evangelischen Kirche mit knapp 100.000 Mitgliedern gehören 448 Kirchen und Kapellen. In Mecklenburg gibt es sogar 703 Kirchen, 580 davon Dorfkirchen.

Noch ist keine Kirche "entweiht"

Weil die Landeskirchen mit den anstehenden Sanierungen überfordert sind, sind viele Dorfbewohner längst zur Selbsthilfe übergegangen. Der Rostocker Theologieprofessor Thomas Klie beobachtet seit Jahren, wie im Land Kirchbauvereine aus dem Boden sprießen. 220 Initiativen hat seine Forschungsgruppe mittlerweile gezählt. Mindestens die Hälfte der Engagierten sei kirchenfern, schätzt er und zitiert ein Kirchbauvereinsmitglied, das sich über den Alleinnutzungsanspruch der Kirche empörte. Schließlich vertrete diese doch nur eine Minderheit.

Nachdem Konsum, Gasthof und Jugendclub die Dörfer verlassen haben, sind Gotteshäuser oft die einzigen öffentlichen Gebäude. Viele von ihnen aber bleiben den größten Teil des Jahres ungenutzt. Ein Drei-Wochen-Turnus bei den Gottesdiensten ist Normalität. Noch aber hat die pommersche Kirche kein Gebäude "entweiht" und vollständig für andere Nutzungen zur Verfügung gestellt.

Die mecklenburgische Landeskirche wiederum hat gerade erst eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit Fragen der Nutzung beschäftigen soll. Dürfen die Glocken für gestorbene Dorfbewohner geläutet werden, auch wenn sie nicht der Kirche angehörten? Darf es weltliche Trauerfeiern in Kirchen geben?

Auch der diesjährige Kirchbautag greift das Schicksal der Dorfkirchen auf. Bis Samstag beschäftigen sich in Rostock rund 450 Architekten, Stadtplaner, Theologen und Künstler mit neuen Visionen für sakrale Gebäude.

Konzerte, Tanzkurs, Yoga - alles ist möglich

Drei Jahre lang will Klie mit seiner Forschungsgruppe Kirchbauvereine, Gutshausvereine und alternative Lebensformen auf Spuren von Religiosität untersuchen. "Anders als allgemein angenommen, denke ich, dass Religion nicht stirbt, sondern blüht, wächst und gedeiht", sagt der evangelische Theologieprofessor, "auch hier im nachsozialistischen Ostdeutschland." Allerdings geschehe dies "jenseits von Konfessionalität".

Das manifestiert sich für ihn auch in den neuen Nutzungsformen. Egal ob Yoga, Tangotanzkurs oder Naturreligiöse Hochzeit. "Interessant ist, was neu dazu kommt", so Klie. Dass Kirchen für Konzertveranstaltungen genutzt werden, werde schon lange praktiziert. "Aus Forschersicht finde ich das eher langweilig."

Birgit Berge will für ihre Kirche genau das: Hin und wieder ein Konzert oder eine Ausstellung. Ein bisschen Lebendigkeit im Dorf. "Jetzt, wo die Kirche wiederhergestellt ist, kann es doch so richtig losgehen", findet sie. In Bauer hat es schon Lesungen mit einer Kinderbuchautorin, Theateraufführungen sowie Blues-, Harfen- und Chorkonzerte gegeben. Fragt man Küster Humrich nach Veranstaltungen in seiner Kirche, dann sagt er, der nächste Gottesdienst finde wohl erst zu Erntedank statt. Die Pfarrstelle ist momentan vakant.

epd