Hunger: Mit Essen spekuliert man nicht

Hunger: Mit Essen spekuliert man nicht
Scheunen und Kornspeicher waren in biblischen Zeiten eine sinnvolle Art der Vorsorge für Dürrejahre. Sie wären es im Prinzip noch heute. Längt errechnen sich die Preise für Nahrungsmittel nicht mehr nach Angebot und Nachfrage. Vor allem die Getreidepreise hängen von weltweiten, oft computergesteuerten Spekulationen ab. Für Hungernde ist das Auf und Ab der Preise lebensbedrohlich.
22.06.2011
Von Thomas Klatt

"Der Pharao möge handeln und Aufseher über das Land einsetzen, um in den sieben Jahren des Überflusses vom Land Ägypten den Fünften zu erheben. Sie sollen alles Getreide dieser guten Jahre, die nun kommen werden, sammeln und im Auftrag des Pharao Korn in den Städten speichern und aufbewahren. Das Getreide soll dem Land als Vorrat dienen für die sieben Hungerjahre, die über das Land Ägypten kommen werden. So wird das Land nicht vor Hunger zugrunde gehen... Und alle Welt kam nach Ägypten, um bei Josef Getreide zu kaufen, denn die Hungersnot war drückend auf der ganzen Erde." (1. Buch Mose, Kapitel 41, Vers 34 ff) 

Nach Ansicht von Oxfam-Agrarexpertin Marita Wiggerthale war der biblische Josef sowohl ein Gutmensch, weil er die ganze damalige Welt vor dem Hungertod bewahrt hat, als auch ein knallharter Spekulant an den damaligen Spotmärkten der Welt, ein "physical hedger", wie man heute sagen würde, der auf Grund von Top-Insiderinformationen Nahrungsmittelreserven anlegte und so Ägypten in der Not zur Weltmacht aufsteigen ließ. Doch auch wenn dieses biblische Geschäft schon tausende Jahre her ist, so hält Wiggerthale Josefs Geschäftsidee für zukunftsweisend.

Zehn Dollar für jeden Verhungernden hätten gereicht

Oxfam fordert die derzeit in Paris tagenden G20-Agrarminister dazu auf, Nahrungmittelreserven zur Sicherung der Ernährung und zum Schutz vor Preisschwankungen einzurichten. Eine neue Untersuchung von Oxfam belegt, dass im Jahr 2007/08 eine globale Getreidereserve von nur 105 Millionen Tonnen gereicht hätte, um eine Nahrungsmittelkrise verhindern zu helfen. Die Investitionen hätten sich auf gerade einmal 1,5 Milliarden US-Dollar belaufen - zehn US-Dollar für jeden der 150 Millionen Menschen, die aufgrund hoher Nahrungsmittelpreise in den Hunger getrieben wurden.

Doch längst wird der Getreidepreis, und das ist der fundamentale Unterschied zu Josefs Zeiten, nicht mehr allein durch Angebot und Nachfrage, gute oder schlechte Ernten bestimmt. Agrarrohstoffe sind zu internationalen Spekulationsobjekten geworden. "Betrug der Anteil der so genannten Index Speculators an der weltweit zentralen Chicagoer Weizenbörse 1998 noch 7 Prozent, so lag dieser Anteil zehn Jahre später bereits bei 41Prozent", weist Markus Henn von Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung – WEED e.V. nach. Diese Futuremärkte setzen auf reine Spekulationen, Derivate, Swap-Handel, Termingeschäfte und Indexfonds.

"Diese Finanztransaktionen rund um Nahrungsrohstoffe sind für Außenstehende so gut wie nicht zu durchschauen und die Finanzwelt will auch gar keine Transparenz. Immer neue Finanzprodukte verschleiern die wirklichen Geldströme. Es wird sozusagen nur noch mit virtuellem Getreide gehandelt. Die Preisbildungsfunktion des klassischen Angebot-Nachfrage-Modells und die Absicherung gegenüber Preisrisiken funktioniert bei den modernen Future-Märkten nicht mehr", erläutert Marita Wiggerthale.

Computer rechnen blitzschnell neue Preise aus

Einer der wichtigsten Indexfonds ist etwa der "Deutsche Bank Liquid Commodity Index" (DBLCI), der rund 23 Prozent Landwirtschaftswerte in seinem Portfolio hält. Der Reuters-CRB-Indexfond spekuliert sogar mit etwa 34 Prozent Nahrungsmittelwerten. Zu den großen Agrarrohstoff-Futurehändlern gehört auch Pimco, eine Tochter der Allianz. Der Markt rund um realen oder auch nur virtuellen Mais, Reis und Soja brummt. Die Nahrungsmittelspekulationen stiegen laut Oxfam von 13 Milliarden US-Dollar im Jahr 2003 auf 317 Milliarden im Juli 2008. Im gleichen Zeitraum stiegen die Preise der Rohstoffe, eben auch der Grundnahrungsmittel, die in den Indexfons im Portfolio enthalten sind, um das Dreifache.

"Hinzu kommt der immer stärkere Einfluss des technischen Hochfrequenzhandels. Nicht mehr Menschen, sondern Computermodelle, Charts und Algorhythmen zur blitzschnellen Ausnutzung von Preistrends sorgen für extreme Preisschwankungen innerhalb weniger Sekunden", ergänzt Markus Henn. Infolgedessen schlagen die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel jenseits aller Erwartbarkeit, Berechenbarkeit und eben auch Planbarkeit immer häufiger und schneller Kapriolen.

So erreichte laut Oxfam der Maisbestand in den Jahren 2006/2007 mit 110 Millionen Tonnen den niedrigsten Stand in der Dekade 2000-2010. Die Maispreise erreichten ihren Höchststand aber erst Mitte 2008 zur Hochzeit der Nahrungsmittelkrise, obwohl die Maisernte zuvor 2007/2008 gut ausgefallen war. Das heißt, die logische Schlussfolgerung, gute Ernte gleich niedrige Preise funktioniert schon lange nicht mehr.

Auch Agrartreibstoffe sind Preistreiber

"Für viele Arme weltweit ist das Auf und Ab der Preise lebensbedrohlich. Die G20 haben eine besondere moralische und menschenrechtliche Verpflichtung, die starken Preisschwankungen wirksam einzudämmen", fordert auch MISEREOR-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon. Die Regierungen der G20 hätten die Macht, diese Warentermingeschäfte strenger zu regulieren. 

Hinzu kommt die zunehmende Nachfrage nach Öko-Sprit. Zwischen 2000 und 2009 hat sich die globale Produktion von Bioethanol vervierfacht, von Biodiesel sogar verzehnfacht, so dass Agrartreibstoffe eindeutig zu den wichtigsten Preistreibern gehörten. Laut aktuellen Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD werden 2020 rund 13 Prozent der weltweiten Kornernte und 15 Prozent des Pflanzenöls in den PKW-Tanks statt in den Mägen der Menschen landen.

Daher fordern Entwicklungshilfeorganisationen, die öffentliche Förderung von Agrartreibstoffen umgehend zu beenden. "Mit Essen spielt man nicht!", fasst es Marita Wiggerthale von Oxfam zusammen. Die Ärmsten der Armen und auch die produzierenden Bauern sind auf stabile und kalkulierbare Festpreise angewiesen, und das könne nur durch eine intelligente und nachhaltige Weltagrarpolitik ermöglicht werden.


Thomas Klatt arbeitet als freier Journalist in Berlin.