SPD-Chef Sigmar Gabriel: "Kirchen schaffen Bindungen"

SPD-Chef Sigmar Gabriel: "Kirchen schaffen Bindungen"
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat die Rolle der Kirchen in Deutschland gewürdigt. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst erläutert er auch, warum der Parteivorstand keinen Arbeitskreis von Laizisten anerkennen will.
11.06.2011
Die Fragen stellte Karsten Frerichs

Herr Gabriel, die evangelische Kirche hat mehrfach die Auslandseinsätze der Bundeswehr kritisiert. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, warnte kürzlich davor, die Bundeswehr zu einem Instrument von "Kanonenbootpolitik" zu machen. Wie nehmen Sie solche Äußerungen wahr?

Sigmar Gabriel: Es wäre schlimm bestellt um die Kirche, wenn sie nicht kritisch mit der Politik umgehen würde. Kirche steht mitten im Leben - und deswegen muss sie sich auch zu den Dingen des Lebens und der Politik äußern. Wer wenn nicht die Kirche soll die Stimme erheben, wenn es um eine bessere, friedliche Welt geht? Kirche muss sich einmischen.

Sind die Warnungen im Zusammenhang mit dem Umbau der Bundeswehr gerechtfertigt?

Gabriel: Auch ich erschrecke, wenn manchmal geradezu selbstverständlich die Rede davon ist, dass die Bundeswehr zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen eingesetzt werden solle. Die Bundeswehr ist keine Interventionsarmee. Sie wird eingesetzt, wenn die Freiheit des eigenen Landes gefährdet ist - oder die unserer Bündnispartner. Und sie soll mithelfen, im Rahmen der Vereinten Nationen den Weltfrieden zu stabilisieren. Ich empfinde es als großen Fortschritt, dass ein internationales Vorgehen gegen Diktatoren und zum Schutz vor Völkermord heutzutage unter dem Dach der UN geregelt wird und nicht Sache einzelner Staaten ist.

Nicht alle in der SPD teilen ihre Einschätzung zur öffentlichen Einmischung und der Stellung der Kirchen in der Gesellschaft. Die Bestrebungen der Laizisten in der SPD, sich Gehör zu verschaffen, scheinen ungebrochen - auch wenn der Parteivorstand die Anerkennung als Arbeitskreis verweigert hat.

Gabriel: Die SPD ist eine Volkspartei und ihr spiegelt sich das gesamte Spektrum der Bevölkerung wider. Und so gibt es auch bei uns Menschen, die eine streng laizistische Verfassung anstreben.

Warum soll diese Gruppe nicht als Arbeitskreis auftreten?

Gabriel: Wir haben uns im Parteivorstand einstimmig dagegen entschieden, weil wir dazu stehen, dass die Verfassung unseres Landes den Kirchen mit ihrem sozialen und seelsorgerlichen Engagement bewusst einen Platz gibt. Die Kirchen schaffen Bindungen. Das tun natürlich auf ihre Art auch Sozialverbände oder Gewerkschaften, aber die Rolle der Kirchen ist doch eine andere. Wenn der Parteivorstand einen Arbeitskreis der Laizisten einrichten würde, hieße das, dass der im Auftrag der SPD handelt. Selbstverständlich haben Konfessionslose ihren Platz in der SPD. Aber dass der Parteivorstand einen Arbeitskreis damit beauftragt, für eine laizistische Verfassung zu kämpfen, kann ich mir nicht vorstellen.

"Viele Gemeinsamkeiten der Konfessionen"

Herr Gabriel, Sie sind evangelischer Christ. Als SPD-Chef haben Sie aufseiten der Kirchen immer zwei Ansprechpartner, Katholiken und Protestanten. Ein Problem?

Gabriel: Es gibt mehr Gemeinsamkeiten zwischen den Konfessionen, als viele Menschen wahrnehmen. Denken Sie nur an das gemeinsame Sozialwort von 1997, das an Aktualität nichts verloren hat. Ich würde mir wünschen, dass es mit einem großen Donnerhall wieder Gehör findet in der Politik. Wie die beiden Kirchen enger zusammenarbeiten wollen, müssen sie miteinander klären. Für Durchschnittschristen wie mich ist beispielsweise der theologische Streit um das gemeinsame Abendmahl kaum nachvollziehbar.

Was ist wichtiger für Deutschland in diesem Jahr, der gerade zu Ende gegangene evangelische Kirchentag in Dresden Anfang Juni oder der Papstbesuch im September?

Gabriel: Für mich ist der Kirchentag seit Jahren ein Ort wichtiger Gespräche und Begegnungen, aus Dresden habe ich viele Fragen und Anregungen mitgenommen. Ich weiß aber, dass für viele Menschen in Deutschland der Papst eine besondere Bedeutung hat - auch für evangelische Christen.

Spricht auch Sie die Spiritualität der Katholiken besonders an?

Gabriel: Ich habe Verständnis für dieses Bedürfnis nach Spiritualität. Aber ich bin eben doch Lutheraner.

"Sehnsucht nach Orientierung"

Wie bewerten Sie, dass die Zahl der Kirchenmitglieder deutlich sinkt?

Gabriel: Man muss sehr genau nach den Gründen fragen. Es gibt eine Sehnsucht nach Orientierung und Religiosität - gerade auch bei jüngeren Menschen. Und daher finde ich es wichtig, dass die Kirchen den Kern dessen, was Glauben ausmacht, nicht aus dem Blick verlieren. Sie müssen die Seelen ansprechen. Es gibt mehr als die pure Ratio.

Wie schätzen Sie den Beitrag der christlichen Kirchen zur Integration in Deutschland ein?

Gabriel: Ich glaube, dass der interkulturelle Dialog in Deutschland verstärkt werden muss. In meinen Augen leisten die christlichen Kirchen dabei einen wertvollen Beitrag. Was ich mir aber wünsche ist, dass islamische Gemeinden deutlicher gegen Antisemitismus vorgehen. Und dabei meine ich zuvorderst Antisemitismus in Deutschland, auch unter jungen Muslimen. Dem müssen die Verantwortlichen nicht nur formal, sondern auch im Alltag in den Gemeinden entgegentreten.

epd