Amnesty-Generalsekretärin: Baby da, Job weg

Amnesty-Generalsekretärin: Baby da, Job weg
Doppelte Entbindung: Gut drei Wochen nach der Geburt ihres Babys ist die deutsche Generalsekretärin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI), Monika Lüke, ihren Job los. Sie wurde von ihrer Aufgabe mit sofortiger Wirkung freigestellt. Als Grund nennt der AI-Vorstand ein gestörtes Vertrauensverhältnis. Lüke vermutet indes ihre Mutterschaft als wahre Ursache.

Die promovierte Völkerrechtlerin Lüke ist seit zwei Jahren Generalsekretärin der deutschen AI-Sektion. Sie wurde "mit sofortige Wirkung" von ihren Aufgaben freigestellt. Der Vorstand begründete den Schritt in einer Erklärung vom 3. Juni mit einem "über die vergangenen Monate zunehmend gestörten Vertrauensverhältnis". "Eine weitere Zusammenarbeit mit ihr erscheint uns nicht mehr möglich", so Vorstandssprecher Stefan Keßler. Derzeit werde darüber verhandelt, wie das Arbeitsverhältnis einvernehmlich gelöst werden könne. Die Geschäfte der deutschen Amnesty-Sektion werden nun vom bisherigen Stellvertreter Wolfgang Grenz geführt. Er arbeitet seit mehr als drei Jahrzehnten für die Organisation.

"Suspendierung rechtlich unzulässig"

Lüke reagierte "entsetzt" und bezeichnete den Schritt als rechtlich unhaltbar. "Der Brief erreichte mich exakt dreieinhalb Wochen nach der Geburt meiner Tochter, also im Mutterschutz", schrieb die 42-Jährige am Mittwochabend in einer Rundmail an die Mitglieder von Amnesty in Deutschland. In dieser Zeit sei sowohl eine Kündigung als auch eine Suspendierung rechtlich unzulässig. Zugleich äußerte sie den Verdacht, dass ihre Mutterschaft der tatsächlich Grund für die Entscheidung sei.

Der Vorstand, der ohnehin nur noch wenige Tage im Amt sei, habe ihr bislang weder einen "wirklichen Grund" genannt noch das Gespräch mit ihr gesucht, beklagte Lüke. Bei den Auseinandersetzungen mit dem Vorstand sei es in den vergangenen Monaten einzig um den Umstand gegangen, "dass ich Generalsekretärin bin, dies Ernst nehme, und trotzdem Mutter werde". Lüke war vor zwei Jahren als Nachfolgerin von Barbara Lochbihler zur AI-Generalsekretärin ernannt worden. Zuvor war die gebürtige Bochumerin unter anderem Repräsentantin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Brüssel und Berlin.

Keßler nannte am Donnerstag in Brüssel als Gründe für die Freistellung erneut ein gestörtes Vertrauensverhältnis und unterschiedliche Vorstellungen über organisationsinterne Fragen. Er wies Vorwürfe zurück, die Freistellung Lükes hänge mit der Geburt ihres Kindes zusammen. Über die genauen Gründe wollte sich Keßler angesichts der möglichen arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung nicht äußern. Es sei aber weder um die politische Ausrichtung der Organisation gegangen, noch habe Frau Lüke "goldene Löffel gestohlen", sagte Keßler. Der Vorstand sei an einer einvernehmlichen Regelung interessiert.

Kündigung liegt nicht vor

Zum Zeitpunkt sagte Keßler, der Vorstand habe mit dem Schritt noch die 50-Jahrfeier der deutschen Sektion Ende Mai in Berlin abwarten wollen und zugleich den in Köln am Wochenende neu zu wählenden Vorstand nicht mit der Personalie belasten wollen. Am Wochenende tagt die Jahreshauptversammlung von Amnesty International in Köln. "Wir wollten dem neuen Vorstand die Chance eines Neuanfangs geben", so der Vorstandssprecher. Das Gremium wird nach einer Ausschreibung der Position über die Nachfolge Lükes entscheiden. Wann dies geschehe, hänge von den Verhandlungen mit Lüke über einen Aufhebungsvertrag ab.

Nach Informationen von evangelisch.de liegt bisher keine Kündigung vor. Diese wäre nach dem Mutterschutzgesetz ohnehin unwirksam. Umstritten ist, ob die erfolgte Suspendierung vor einem Arbeitsgericht Bestand haben würde. Im Vorfeld der Babypause scheint es keine Gespräche über die Frage gegeben zu haben, wann Lüke nach der Geburt ihres Kindes wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren will. Die Generalsekretärin in einer Phase von ihren Aufgaben freizustellen, in der sie ohnehin nicht arbeitet, hat offenkundig wenig Sinn und lediglich atmosphärische Folgewirkungen. Eine AI-Sprecherin wollte am Donnerstag zu diesen Gesichtspunkten keine Stellung abgeben.

Die Menschenrechtsorganisation, die auch mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, hatte erst vor wenigen Tagen ihr 50-jähriges Bestehen gefeiert. In Deutschland hat Amnesty mehr als 110.000 Mitglieder und Unterstützer. Weltweit sind es mehr als drei Millionen. Die Ablösung wurde nach Keßlers Angaben von den sieben Vorstandsmitgliedern einstimmig beschlossen. Der Streit drehe sich nicht um politische, sondern um organisatorische Fragen, so der Vorstandssprecher. Einzelheiten nannte er nicht. Keßler betonte jedoch, Lüke habe sich strafrechtlich nichts zuschulden kommen lassen.

dpa/epd/evangelisch.de