Internet-Aussteiger: Ich bin dann mal offline...

Internet-Aussteiger: Ich bin dann mal offline...
Anrufe, E-Mails und Rund-um-die-Uhr erreichbar sein, Nachrichten aus aller Welt im Sekundentakt – manchen Internetnutzern wird das zu viel. Ein aktueller Trend setzt auf das bewusste Offline-Gehen. Ein wichtiger Trend oder nur das Experiment von Avantgardisten?
06.06.2011
Von Christiane Schulzki-Haddouti

Der Querdenker und Designer Nils Holger Moormann hat mit "Berge" im Chiemgau ein "Gasthaus der Halbstille" gegen den Informations-Überfluss geschaffen. Es gibt kein Fernsehen, dafür sind überall in der Herberge Bücher verteilt. Der Sänger Prince vertreibt sein neues Album bewusst nicht im Internet, auf eine offizielle Website verzichtet er. Das Album lag dafür einer britischen Tageszeitung und einer deutschen Musikzeitung bei. Der Cartoonist James Sturm beschreibt im Online-Magazine Slate.com in den zehn Kolumnen "Life without web" seinen Versuch, aus dem Netz auszusteigen. 

Jeder Dritte fühlt sich überfordert

Drei Kreative haben sich bewusst gegen das Internet entschieden. Ein wichtiger Trend in Zeiten der anschwellenden Informationsfluten – oder nur ein Selbsterfahrungsexperiment? Laut einer aktuellen Analyse des IT-Branchenverbands Bitkom fühlt sich jeder dritte Internetnutzer häufig von der Informationsflut überlastet, bei noch einmal 30 Prozent ist dies manchmal der Fall.

Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer hat den Eindruck, dass sich "offenkundig zahlreiche Menschen von Nachrichten und Medienvielfalt überfordert fühlen, vor allem Ältere." So fühlen sich 39 Prozent der Deutschen ab 65 Jahren häufig überfordert, bei den 14- bis 29-Jährigen ist es nur jeder Siebte. Für Scheer steht fest: "Wir müssen als Gesellschaft lernen, mit der Nachrichtenflut besser umzugehen."

Das bewusste Offline-Gehen hat nach Auffassung der Trendforscherin Janine Seitz eher experimentellen Charakter: Wie komme ich ohne Facebook klar? Erreiche ich Freunde und berufliche Kontakte auch ohne E-Mail und Chat? Seitz glaubt, dass der temporäre Ausstieg aus dem Digitalen dazu beitragen kann, eine eigene Strategie zu entwickeln, die einen produktiven Umgang mit der digitalen Welt ermöglicht.

Die jüngere Generation, die mit dem Internet groß geworden ist, bewege sich, so Seitz, mit einer faszinierenden Leichtigkeit zwischen TV, Chat, Telefon und SMS: "Sie probieren sich aus, testen, was alles möglich ist im Netz, haben keine Angst, auch mal zu scheitern oder die Kontrolle zu verlieren. Die Parallelnutzung verschiedener Medien ist für sie integraler Bestandteil der Aneignung von Welt."

Nur die wenigsten steigen aus

Janine Seitz ist für das Zukunftsinstitut gemeinsam mit ihrem Co-Autor Andreas Haderlein "Schlüsseltrends des digitalen Wandels" nachgegangen. Sie kommt zu dem Schluss: "Die Zahl derer, die sich bewusst aus dem Internet zurückziehen, ist verschwindend gering und wird auch in Zukunft nicht ansteigen." Es gibt nämlich neben dem radikalen Ausstieg auch andere Arten, mit dem Informationsüberfluss umzugehen.

Eine Strategie besteht darin, bereits Bekanntes im Netz zu suchen. Studien zeigten bereits mehrfach, dass die meisten Nutzer auf die Informationsquellen zugreifen, die sie bereits aus der analogen Welt kennen. Seitz: "Ein überschaubares, bekanntes Informationsangebot dämmt die Informationsflut somit von vornherein ein."
Derzeit bestünden die Strategien des einzelnen noch darin, meint Seitz, die Informationen bewusst zu selektieren und auf ihre Bedeutung und Relevanz hin einzuordnen: "Das heißt auch, bestimmte Daten als unwichtigen Datenmüll links liegen zu lassen und bewusst auf das Internet in bestimmten Situationen zu verzichten."

Die Zukunft könnte einfacher werden

Es gibt auch bereits Internet-Dienste, die Nutzer dabei unterstützen: Das soziale Netzwerk "Path" will das wahllose Sammeln von "Freunden" unterbinden: Die Anzahl der Kontakte ist auf 50 beschränkt. Hintergrund: Psychologen stellten fest, dass jeder Mensch mit maximal 50 Personen soziale Kontakte pflegt, davon sind 5 enge Freunde, mit rund 20 Menschen steht man regelmäßig in Kontakt.

[listbox:title=Mehr im Netz[Die Studie "Schlüsseltrends des digitalen Wandels"##Homepage des Zukunftsinstituts##Das 50-Freunde-Netzwerk "Path"]]

Die Trendforscherin setzt auf die Kreativität der Geräte- und Softwareentwickler. Auch wenn Speicherleistungen immer besser werden und ein Zugriff auf das Internet von überall auf der Welt möglich ist, müsse die Komplexität nicht immer weiter steigen. Als Beispiel führt Janine Seitz die Handys an: So wurden die Mobiltelefone in den ersten Jahren ihrer Entwicklung zwar immer komplexer, aber letztlich konnte sich das iPhone mit seiner intuitiven Bedienoberfläche durchsetzen.

Inzwischen werden immer mehr technische Services und Produkte entwickelt, um der Informationsüberflutung vorzubeugen. Dazu zählen beispielsweise Kollaborationsplattformen in Unternehmen, um von der E-Mail-Flut wegzukommen, Reputationsmanagement-Services, um die Online-Identität wieder aufzupolieren oder individualisierte Zeitungsangebote. Das Software-Entwicklungsunternehmen Atos Origin etwa will Social Software derart in Unternehmen integrieren, dass Mitarbeiter auf E-Mails komplett verzichten können.

Das Internet wird ins Überall verschwinden

Ein sinnvoller, effektiver und produktiver Umgang mit der Informationsfülle ist für Janine Seitz eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre. Ihr müssen sich nicht nur einzelne Menschen stellen, sondern auch Unternehmen, die ihre Mitarbeiter nicht in einem Zustand der Jederzeit-Erreichbarkeit halten können. Die Bitkom-Studie zeigte nämlich auch, dass fast jeder dritte Berufstätige über seine eigentliche Arbeitszeit hinaus erreichbar sein muss Nur 12 Prozent sind während ihrer Freizeit nie in beruflicher Hinsicht erreichbar, weitere 14 Prozent sind nur in Ausnahmefällen außerhalb der Arbeitszeiten erreichbar. Thomas Sattelberger, Personalchef der Deutschen Telekom forderte kürzlich, dass sich Mitarbeiter bewusst Auszeiten gönnen müssten.

Trendforscherin Seitz glaubt allerdings, dass die Reaktion einiger weniger, komplett aus dem Netz auszusteigen, sich nicht durchsetzen wird, da das Internet bereits alle Bereiche unseres Lebens durchdringt: "Die Strategien, die zur Bewältigung der Informationsflut entwickelt werden, sind ko-evolutionäre, kulturelle Adaptionsprozesse des Menschen, die mit der technischen Entwicklung einhergehen." Der Mensch werde in Zukunft lernen, die Informationsfülle nicht mehr als Bedrohung zu sehen, sondern als Bereicherung. Und am Ende komme es, so die Zukunftsforscherin, zu einem Paradox: "Nie waren wir besser informiert, nie konnten wir aus mehr Quellen schöpfen. Das Internet wird in Zukunft verschwinden, weil es überall ist."


Christiane Schulzki-Haddouti ist freie Journalistin und lebt in Bonn.