"Wutbürger haben ausgedient. Es folgen die Mutbürger"

"Wutbürger haben ausgedient. Es folgen die Mutbürger"
"Die Bürgerinnen und Bürger wollen beteiligt werden" - das ist für Kirchentagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt das wichtigste politische Signal des fünftägigen Protestantentreffens in Dresden. Im Gespräch mit dem epd zieht die Grünen-Politikerin und Vizepräsidentin des Bundestages Bilanz. Sie sagt, die Gastgeberstadt habe den Kirchentag verzaubert.
05.06.2011
Die Fragen stellten Thomas Schiller und Barbara Schneider

Vor dem Kirchentag war die Frage offen: Wie kommt der Kirchentag in einer Stadt an, in der nur 25 Prozent der Bevölkerung einer christlichen Kirche angehört. Wie ist er angekommen?

Göring-Eckardt: Es gab eine gegenseitige Liebeserklärung: Dresden hat den Kirchentag verzaubert, der Kirchentag hat aber auch Dresden verzaubert. Die Dresdner haben nicht nur gestaunt, sondern sich mit hinein nehmen lassen. (Foto: epd-bild / Norbert Neetz)

Wie hat sich diese Liebe entwickelt?

Göring-Eckardt: Angefangen hat alles beim Abendsegen am Eröffnungstag: 20.000 Kerzen hatte der Kirchentag als Liebeserklärung über die Elbe geschickt. Diesem Liebesbeweis an Gott und die Welt konnten sich auch die Skeptiker nicht entziehen. Plötzlich war es um sie geschehen, und sie erlagen dem Zauber des Kirchentages. Von Tag zu Tag wurden die Bande zwischen den Dresdnern und den Kirchentagsbesuchern enger. Aber natürlich gab es auch diejenigen, die sagten: Feiert ihr euren Kirchentag, wir kommen dann nicht in die Innenstadt.

Welches Bild wird vom Kirchentag bleiben?

Göring-Eckardt: Es werden auf jeden Fall das Bild von den Kerzen auf der Elbe und das Klingen Tausender Stimmen bleiben. Und es wird in Erinnerung bleiben, dass die Elbe ein verbindender Fluss ist, der dem Kirchentag eine besondere Ruhe gegeben hat, in der man Diskussionen anders als sonst üblich führen konnte.

Und welche Nachricht wird bleiben?

Göring-Eckardt: Ich bin keine Prophetin. Aber was ich jetzt schon mit Gewissheit sagen kann, ist, dass es eine neue Suche nach Spiritualität und eine neue Lust auf Theologie gibt. Viele Menschen haben dort, wo es um die Verbindung zwischen Glauben und Verantwortung in der Welt geht, intensiv zugehört und mitdiskutiert.

Welches ist das wichtigste politische Signal dieses Kirchentags?

Göring-Eckardt: Die Bürgerinnen und Bürger wollen beteiligt werden. Die Wutbürger haben ausgedient. Es folgen die Mutbürger - und das sind gute Bürgerinnen und Bürger in Gottes Welt. Sie sagen: Entscheidet nicht dort oben ohne uns. Es geht dabei um Demokratie, gerade in Ostdeutschland, wo die Menschen vor 22 Jahren mit dem Ruf "Wir sind das Volk" auf die Straße gegangen sind. In Dresden hat sich der freie Christenmensch gezeigt, der sich in die Gesellschaft einbringt - jeden Tag und nicht nur alle paar Jahre am Wahltag. Diese Botschaft des Dresdner Kirchentags passt gut in die Zeit.

Der Kirchentag ist auch deshalb attraktiv, weil man den Menschen begegnen kann, die man sonst nur im Fernsehen sieht. Neben der Präsidentin war das in diesem Jahr auch wieder ganz stark Margot Käßmann. Braucht der Kirchentag in einer Mediengesellschaft seine Stars?

Göring-Eckardt: Der Kirchentag muss nicht in erster Linie in den Medien Erfolg haben. Aber dass man Personen hat, die den Kirchentag dadurch bereichern, dass sie nach außen wirken, das ist gut. Wir haben davon eine ganze Reihe erlebt, etwa den Bundespräsidenten, die Bundeskanzlerin, Margot Käßmann und auch den Verteidigungsminister, der beim Kirchentag eine große Rolle gespielt hat. Thomas de Maizière hat erklärt, wie es zusammengeht, dass ein Christ Verteidigungsminister wird. Der Kirchentag ist immer eine Chance, diese Menschen von ihrer nachdenklichen Seite kennenzulernen.

Der Verteidigungsminister in Zeiten der Nachrüstungsdebatte, Hans Apel, ist auch evangelischer Christ. Er ist beim Kirchentag 1981 in Hamburg mit Tomaten beworfen worden. Was hat sich geändert?

Göring-Eckardt: Das Schwarz-weiß-Denken ist sowohl in der Politik als auch in der evangelischen Kirche nicht mehr so ausgeprägt. Inzwischen betrachten wir die Frage, was Frieden stiften heißt, sehr differenziert. Thomas de Maizière, der auch im Präsidium des Kirchentags sitzt, macht nachvollziehbar, wie seine Entscheidungen verlaufen. Er kommt nicht mit fertigen Ansagen, sondern macht Unsicherheiten und Abwägungsprozesse deutlich. Menschen mit einer anderen Position können das nachvollziehen. Respekt voreinander hat die fliegenden Tomaten ersetzt - ein echter Fortschritt.

Hat das Thema Afghanistan nach dem Tod eines weiteren Bundeswehrsoldaten das Top-Thema Energiewende verdrängt?

Göring-Eckardt: Das Thema Krieg und Frieden war an vielen Stellen wichtig: die Frage, wie wir uns als Christen mit so schwierigen Entscheidungen wie zu Libyen oder Afghanistan umgehen wollen. Aber das Thema Energiewende hat weiterhin eine große Rolle gespielt. Wir können froh darüber sein, dass sich auch in der Bundesregierung etwas bewegt hat. Das haben wir beim Kirchentag gespiegelt bekommen. Aber der Umstieg ist noch nicht geschafft, und es ist viel darüber diskutiert worden, wie es funktionieren kann und soll.

Grüne Schals, grüne Themen, grüne Kirchentagspräsidentin: Wie schaffen Sie es, die Leitung des Kirchentags und Parteipolitik auseinanderzuhalten.

Göring-Eckardt: Dass die Schals grün sind, hat das Kirchentagspräsidium beschlossen - nachdem ich noch einmal nachgefragt habe, ob sie das wirklich wollen. Die Themen sind nicht allein grüne Themen, sondern Themen, die die Leute bewegen. Günther Beckstein, mein Präsidiumskollege in der Synode der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), hat gesagt, die Bewahrung der Schöpfung ist nicht das Monopol irgendeiner Partei, sondern Umweltschutz ist die Aufgabe aller Christen. Und damit hat er recht. Auch die Kritik am ungebremsten Wirtschaftswachstum ist kein grünes Thema. Aber ich bin Grüne, und wenn mich jemand nach meiner persönlichen Meinung fragt, werde ich die auch sagen.

Welche Signale gehen von Dresden für die Ökumene aus?

Göring-Eckardt: Wir hatten in Dresden einen riesigen ökumenischen Gottesdienst mit 10.000 Menschen - 3.000 Bläser und 7.000 weitere Gäste. Das ist mehr, als wir bei anderen ökumenischen Gottesdiensten hatten. Der katholische Dresdner Bischof Joachim Reinelt hat noch einmal deutlich gemacht, dass wir als Christinnen und Christen nur gemeinsam weiter gehen können. Es gab eine ganz hohe ökumenische Selbstverständlichkeit gerade angesichts der Diaspora-Situation beider Kirchen in Ostdeutschland, wo der Ökumene viel alltäglicher ist als im Westen der Republik.

Ist der nächste Ökumenische Kirchentag damit gesetzt, und gibt es noch Alternativen zum Jahr 2017?

Göring-Eckardt: Wir gehen alle davon aus, dass es einen Dritten Ökumenischen Kirchentag geben wird. Das kann man ganz klar sagen. Wann er stattfinden wird, darüber diskutieren wir gerade bis Ende des Jahres. Wir müssen uns da alle gedulden - auch ich selbst.

epd