Russland will kein europäisches Gemüse mehr

Russland will kein europäisches Gemüse mehr
Russland hat vorerst alle Gemüseimporte aus der Europäischen Union gestoppt. Hintergrund ist der gefährliche Darmkeim EHEC, dessen Herkunft weiterhin unklar ist. Bisher galt das russische Einfuhrverbot nur für frisches Gemüse aus Deutschland und Spanien.

Grund für die Verschärfung sei die andauernde Ausbreitung des Darmkeims, sagte Russlands oberster Amtsarzt Gennadi Onischtschenko nach Angaben der Agentur Interfax am Donnerstag. Der Zoll sei angewiesen, kein frisches Gemüse mehr über die Grenzen zu lassen. Alle verdächtigen Waren seien zudem aus dem Handel zu nehmen, sagte Onischtschenko.

Zuvor hatte Russland bereits Gemüse aus Deutschland und Spanien aus den Lebensmittelmärkten entfernen lassen. Das eingeschränkte Importverbot galt seit Montag. Die Behörden in Moskau hatten die Bevölkerung schon vor Tagen vor dem Verzehr gewarnt und besondere Hygienehinweise erlassen. Das größte Land der Erde importiert wegen der mangelnden Eigenversorgung viele Lebensmittel aus der EU. Russische Experten forderten vor dem Hintergrund des Importverbots eine Stärkung der Gemüseproduktion im eigenen Land.

Warnung vor Gurken aufgehoben

Am Mittwoch hatt die EU-Kommission die europaweite Warnung vor spanischen Gurken im Zusammenhang mit dem lebensgefährlichen Darmkeim EHEC aufgehoben. "Die jüngsten Ergebnisse haben gezeigt, dass das spanische Gemüse nicht verantwortlich für den Ausbruch von EHEC in Deutschland und anderen Mitgliedsstaaten ist", hieß es in Brüssel. Neue Tests aus Deutschland und Spanien hätten ergeben, dass die aktuelle Darmseuche nicht von den auf einigen Gurken gefundenen Bakterien ausgelöst wurde. In Deutschland wird indes weiter dazu geraten, vorsichtshalber auf den Verzehr von rohem Gemüse zu verzichten.

Unterdessen steigt die Zahl der EHEC-Infizierten wieder rapide. Innerhalb eines Tages stieg die Zahl gemeldeter EHEC-Infektionen und -Verdachtsfälle bundesweit von rund 1500 auf 2000. Zugleich tappen die Experten auf der Suche nach der EHEC-Quelle völlig im Dunkeln. In Brüssel rief EU-Gesundheitskommissar John Dalli Deutschland dazu auf, die Suche nach der Infektionsquelle zu verstärken. "Der anfängliche Verdacht Deutschlands, Gurken aus Spanien könnten schuld sein, hat sich bisher nicht bestätigt." Mehr Klarheit könne es aber erst geben, wenn die Ergebnisse der Boden-, Wasser- und Produktproben aus den spanischen Betrieben in Almeria und Malaga vorlägen.

Laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hätten Nachtests ergeben, dass von den anfangs vier bestätigten EHEC-Proben von Gurken aus Hamburg nur zwei mit dem Keim infiziert seien. Allerdings handele es sich dabei nicht um den dem Erregertyp O104, der für die derzeitige Seuche verantwortlich ist. "Es gilt weiterhin zu klären, an welcher Stelle in der Lebensmittelkette die Belastung mit Keimen erfolgt ist", sagte BfR-Präsident Andreas Hensel. Indes unterstrich der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Reinhard Burger, es gebe keinen Anlass für Entwarnung. Erst in einigen Tagen werde sich zeigen, ob die Warnungen vor rohem Gemüse die Infektionen gebremst haben. Auch das BfR empfahl, vorsorglich weiter auf rohe Tomaten, Salatgurken und Blattsalate zu verzichten.

In Deutschland bisher 16 Tote

Niedersachsen meldete einen weiteren EHEC-Todesfall durch das von EHEC ausgelöste hämolytisch-urämische Syndrom (HUS). Es kann zu lebensgefährlichen Nieren- und Nervensystemschäden führen. Damit sind bundesweit 16 Todesfälle registriert, 14 davon waren Frauen. Vor allem in Norddeutschland nahmen die bestätigten Erkrankungen und der Verdachtsfälle sprunghaft zu. Niedersachsen meldete am Mittwoch 344 Verdachtsfälle - 80 mehr als am Vortag. In Hamburg kletterte die Zahl um 119 auf 668 bestätigte oder Verdachtsfälle.

In Schleswig-Holstein bereitet den Ärzten ein starker Anstieg neurologischer Komplikationen Sorgen. "Wir haben Patienten, die überhaupt keinen Durchfall haben, aber schwere neurologische Symptome", schilderte der Kieler Klinikdirektor Ulrich Kunzendorf. Ein Beispiel seien etwa epileptische Anfälle. Die Experten suchen weiter fieberhaft nach der EHEC-Quelle. "Man kann derzeit gar nichts ausschließen", erklärte Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) im ZDF-Morgenmagazin. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch sei sehr unwahrscheinlich, wenn man normale Hygieneregeln einhalte, sagte Prüfer-Storcks. Laut RKI-Präsident Burger gibt es dagegen mittlerweile erste Hinweise, "dass eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung erfolgen kann".

Auch im Ausland breitet sich der tödliche Keim weiter aus: In Tschechien gibt es einen ersten nachgewiesenen EHEC-Fall. Laut EU-Kommission gibt es zudem in Schweden, Dänemark, Frankreich, Österreich, Großbritannien und den Niederlanden EHEC-Fälle. Meistens seien die Erkrankten kurz zuvor in Deutschland gewesen.

Gemüsebranche will Entschädigungen

Die Gemüsebranche stimmt sich indes auf immer stärkere Entschädigungen und Kompensationen für Bauern ein. EU-Kommissar Dalli hält Entschädigungen generell für denkbar. Auch EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos hat angekündigt, rechtliche Möglichkeiten für Kompensationen betroffener Landwirte auszuloten. Nach Ansicht der Branche hat die neue Ungewissheit die Lage der Gemüsebauern verschärft. Der Bundesvereinigung der Erzeugerorganisationen Obst und Gemüse (BVEO) zufolge trägt die Kaufzurückhaltung - auch bei anderem Gemüse - zu Umsatzeinbußen von ungefähr vier Millionen Euro pro Tag bei.

Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, forderte einen finanziellen Ausgleich von der Bundesregierung und der EU für die angeschlagenen Betriebe. "30 Millionen Euro Einbußen sind nicht verkraftbar", sagte er der "Passauer Neuen Presse" (Donnerstag). Viele Betriebe stünden wegen der Angst der Verbraucher vor dem EHEC-Erreger vor dem Ruin.

dpa