TV-Tipp: "Haus und Kind" (Eins Festival)

TV-Tipp: "Haus und Kind" (Eins Festival)
"Sommer vorm Balkon"-Autor Wolfgang Kohlhaase hatte gewiss Spaß am Entwickeln dieses Drehbuchs um einen organisatorisch besonders herausgeforderten Bigamisten - bis zum dreifachen Schluss.
20.05.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Haus und Kind", 25. Mai, 18.30 Uhr auf Eins Festival

Man kann sich lebhaft vorstellen, dass am Anfang dieses Drehbuches von Wolfgang Kohlhaase der Schluss stand: eine grimmige Pointe, die einem Mann im wahren Leben jeden Boden unter den Füßen weggerissen hätte. Aber Kohlhaases etwas unscheinbarer Held hat sich bei allem Intellekt eine fast kindliche Naivität bewahrt. Deshalb ist und bleibt er auch, wie so viele Hauptfiguren von Geschichten über Bigamisten, ein Sympathieträger; erst recht nach dem dreifachen Ende. Da erinnert Geschichtsprofessor Neubauer, von Stefan Kurt fast als Inbegriff des Normalen verkörpert, an eine Comicfigur, die erst in die Tiefe stürzt, anschließend vom Laster überrollt wird und schließlich unter einer Lawine endet. Trotzdem wird er sich wieder aufrappeln, denn Neubauer scheint allen Schicksalsschlägen zum Trotz unverwüstlich. Das macht den vom vierfachen Grimme-Preisträger Andreas Kleinert ("Mein Vater") sachlich und gelassen inszenierten Film allerdings noch nicht zur "sarkastischen Sommerkomödie", wie die ARD ihn bewirbt, zumal die Handlung ohnehin eher tragisch ist, wenn man mal den Standpunkt wechselt.

Aber das galt für "Sommer vorm Balkon", die letzte Arbeit des großen früheren Defa-Autors ("Solo Sunny"), ja ebenfalls. Die beiden Filme erzählen zwar grundverschiedene Geschichten, doch es gibt auch offenkundige Parallelen; und das nicht nur, weil es hier wie da um einen Mann und zwei Frauen geht. Erneut erweist sich Kohlhaase als wunderbarer Beobachter des Besonderen im Alltäglichen. In "Haus und Kind" laufen sich die beiden Frauen allerdings nie über den Weg; und die Handlungsperspektive im neuen Film ist die Sichtweise des Mannes.

Eine Frage des Zeitmanagements

Der hat sich sein Leben prima eingerichtet: Als Neubauer vor Jahren der Ruf nach Berlin ereilte, ist seine Frau Lena (Marie Bäumer) daheim in der Provinz geblieben. Dass er sie nach wie vor aufrichtig liebt, hindert ihn nicht daran, seine einsamen Nächte mit Kellnerin Melanie (Stephanie Schönfeld) zu teilen. Die kann der klugen Lena intellektuell zwar nicht das Wasser reichen, ist jedoch deutlich jünger. Aber seit auch Lena nach Berlin gezogen ist, wird das Dasein für den braven Historiker zunehmend anstrengender.

Immerhin gelingt es ihm, sein Zeit-Management zu koordinieren: Da Lena ein Morgenmuffel ist, schaut er morgens zu Sex und anschließendem Frühstück bei Melanie vorbei; allerdings wirkt sich Doppelbelastung fast zwangsläufig nachteilig auf die Verrichtung seiner ehelichen Pflichten aus. Dafür findet er mit Lena vor den Toren der Stadt ein Traumhaus, etwas heruntergekommen zwar, aber idyllisch gelegen. Die nicht minder verwahrloste Bewohnerin, von Gudrun Ritter mit großartiger Mischung aus Beschränktheit und Bauernschläue verkörpert, ist man auch bald los: Ein offen gelassenes Dachfenster führt in Kombination mit einem Unwetter dazu, dass die alte Frau nach dem Einsturz der maroden Decke ins Krankenhaus muss. Nun fehlt Neubauer zum vollkommenen Glück bloß noch Nachwuchs, am besten von beiden Frauen. Just jetzt aber entpuppt sich sein Kartenhaus als höchst einsturzgefährdet, denn Lena kommt ihm auf die Schliche.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).