Eine nachhaltige Entwicklung: Die Kirchen und die Atompolitik

Eine nachhaltige Entwicklung: Die Kirchen und die Atompolitik
Seit jeher haben sich die Kirchen kritisch mit der Atomenergie auseinandergesetzt. Jetzt ist das Thema aktueller denn je - und viele besinnen sich auf die Anfänge christlichen Umweltengagements.
13.05.2011
Von Thomas Klatt

Der Badener Bischof Ulrich Fischer erhält jetzt vermehrt E-Mails in seinem badischen Landeskirchenamt. "Was haben Sie da eigentlich verloren, machen Sie doch erst mal Ihre Arbeit in der Kirche! Sollten Sie sich nicht auf Ihre geistlichen Aufgaben konzentrieren?", zitiert er. Seit Fischer als evangelischer Kirchenvertreter in die Atom-Ethikkommission berufen wurde, erreichen ihn längst nicht nur wohlwollende Reaktionen. Seit Anfang April tagt die von der Kanzlerin einberufene Fachrunde, in der neben Energieexperten auch Ethiker, Sozialwissenschaftler und je ein Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche sitzen.

"Langer Marsch"

"Ich finde diese Berufungen geschickt, weil es hier nicht nur um technische Fragen geht. Wir machen aus einem Streitthema eine Zukunftsaufgabe für Deutschland", erklärt Fischer sein Engagement in der Kommission.

Seit 30 Jahren ist der evangelische Theologe in der Umweltbewegung aktiv. Der konziliare Prozess und die Bewahrung der Schöpfung sind ökumenische Stichworte der 1980er Jahre. Die gesamte deutsche Anti-AKW-Bewegung wäre ohne ihre christlichen Grundlagen kaum denkbar gewesen. "Franziskus in Gorleben" war 1979 ein Taschenbuch-Klassiker der erwachenden Umwelt- und Öko-Bewegung.

Bis heute sind die wöchentlichen Gebetskreise ein fester Bestandteil der Anti-Castor-Proteste. Die Saat der christlichen Umweltbewegung scheint nun endlich aufzugehen. "Es ist für mich ein langer Marsch durch die Institutionen. Ich befürchte aber, dass ohne die Katastrophe von Fukushima der Marsch noch sehr viel länger gewesen wäre", meint Ulrich Fischer.

Ende der Debatte?

Auch auf katholischer Seite hofft man nun auf das Ende einer langen gesellschaftlichen Atomdebatte. Der Kölner Erzbischof und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Joseph Kardinal Höffner, warnte bereits 1980 in seinem Eröffnungsreferat vor der Deutschen Bischofskonferenz vor den Gefahren der Kernenergie: "Es genügt nicht, dass die Fachwissenschaft erklärt, es sei wahrscheinlich, dass durch Sicherheitskontrolle und Überwachungstechnik Schäden verhindert werden könnten. Erforderlich ist die Sicherheit."

Auch 31 Jahre nach seinem Vortrag haben die Worte des Kölner Kardinals nichts an Aktualität und Brisanz eingebüßt: "Wissenschaft und Technik stehen vor der Aufgabe, Ausschau nach neuen, möglichst umweltfreundlichen Energien zu halten. Die Atomenergie ist nämlich die risikoreichste Technik. Genetische und sonstige Schädigungen der jetzt lebenden Menschen und späterer Generationen dürfen nicht aus noch so dringlichen Nützlichkeitserwägungen in Kauf genommen werden."

Jahre nach Tschernobyl erlahmte das Engagement

Danach erlahmte zwar die Anti-Atom-Kritik der Kurie, aber Prälat Karl Jüsten, Leiter des Katholischen Büros Berlin, weist auf die richtungsweisende Verbindlichkeit der damaligen Worte hin. Zudem gebe es Äußerungen vom Heiligen Stuhl, die immer auch schon skeptisch hinsichtlich des Einsatzes von Atomenergie waren, betont Jüsten.

Auch wenn die Kirchen schon seit Jahrzehnten in ihren Verlautbarungen ein Ende der Atomkraft fordern, so sei dies kein Grund zur billigen Häme, meint Bischof Ulrich Fischer. Schließlich sei auch bei der kirchlichen Anti-AKW-Bewegung das Bemühen zwischenzeitlich erlahmt gewesen.

"1986 war Tschernobyl, 1987 folgte der EKD-Beschluss gegen die Atomkraft, und dann wurde es verdächtig still. Da stand in unserer evangelischen Kirche wie auch in der katholischen Kirche die Frage des Klimawandels so im Vordergrund, dass die Kernenergie in den Hintergrund getreten ist", erinnert sich Fischer.

Empfehlungen ohne Rechtsverbindlichkeit

Ende Mai trifft sich die Atom-Etikkommission zum letzten Mal. Im Ergebnis sollen Empfehlungen ausgesprochen werden, jedoch ohne jede Rechtsverbindlichkeit. Geraten wird, so verrät Bischof Fischer schon jetzt, zu einem massiven Ausbau von modernen Gaskraftwerken, Solar- und Windkraftanlagen und dezentralen lokalen Energieerzeugern. Daneben müssten vor allem alle Häuser konsequent energieeffizient um- oder neu gebaut werden.

Wenn die Bürger wissen, wozu neue Stromtrassen entstehen und sie in die Planung mit einbezogen werden, hofft Fischer, gibt es auch auf mehr Einverständnis dafür in der Bevölkerung. Zudem sei alles, was nun gebaut werde, anders als Atomkraftwerke auch relativ schnell wieder rückbaubar. Weder gingen die Lichter aus noch werde Strom unbezahlbar, verspricht er.

Schneider warnt vor dem Einfluss der Konzerne

EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider weist jedoch darauf hin, dass gegen den schnellen Atomausstieg eine starke Wirtschaftslobby steht: "Wenn RWE vor Gericht klagt und es heißt, Biblis A vom Netz nehmen bedeutet einen Verlust von 750.000 Euro pro Tag, dann weiß man, welche Interessen da bestehen. Und Biblis A ist nicht das produktivste Werk, bei anderen sind da noch höhere Zahlen denkbar."

Es gebe stets zwei Standardargumente, sagt Schneider: "Das eine ist das Arbeitsplatzargument und das andere ist das Kostenargument. Natürlich braucht man eine kluge Konversion, denn die Atomindustrie zahlt gut, mehr als 20 % über dem Tariflohn in der Metallarbeitsbranche. Das sind Spitzenverdienste." Für einen baldigen Atomausstieg werde noch viel Überzeugungsarbeit nötig sein. Die Frage einer eventuell millionen- bis milliardenschweren Entschädigung für die Atomstromerzeuger ist bislang noch völlig ungeklärt.

Merkels Umschwenken "tragisch"

Dass die CDU/CSU erst nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima in der Atompolitik umzusteuern scheint, hält Ulrich Fischer für tragisch. Aber man müsse jetzt den Zeitpunkt für einen endgültigen Ausstieg nutzen. Der Bischof jedenfalls glaubt ähnlich wie Präses Schneider an den Veränderungswillen der Kanzlerin und hält die Einberufung der Ethikkommission nicht für eine billige Täuschung der Bürger. "Dieses Erschrecken der Kanzlerin auch als Physikerin, die sich das nicht hat vorstellen können, das nehme ich ihr wirklich ab", sagt Fischer.

Auch Prälat Karl Jüsten glaubt nicht, dass die alten deutschen Atommeiler nach dem dreimonatigen Moratorium und den Ergebnissen der Ethikkommission einfach wieder ans Netz gehen. Er mutmaßt: "Die Kanzlerin hat jetzt eine 180-Grad-Wende gemacht. Eine weitere 180-Grad-Wende würde sie wahrscheinlich nicht überstehen."


Thomas Klatt ist freier Autor in Berlin.