Auf der Fahrt in die Außenbezirke von Haitis Hauptstadt Port-au-Prince stockte Jock Baker mehrmals der Atem. "Auf einmal war mir bewusst, wie dünn die Erdkruste, auf der wir stehen und bauen, eigentlich ist", erinnert sich der Koordinator des Hilfswerks CARE. Es war im Frühjahr 2010, vier Monate nach dem schweren Erdbeben, durch das mehr als 220.000 Menschen starben. Organisationen aus aller Welt kamen, um zu helfen - nicht immer mit Erfolg.
Aus Fehlern lernen
Was in Haiti schiefging, soll in Zukunft nicht mehr vorkommen. Das jedenfalls ist das Ziel der ersten Weltkonferenz zum Wideraufbau, die seit Dienstag in Genf über eine Verbesserung der Katastrophenhilfe berät. "Wir brauchen klare Rahmenabsprachen, die regeln, wie Aufbauhilfe finanziert und koordiniert werden soll, damit sie effektiver wird", erklärt Alan March, stellvertretender Direktor der australischen Entwicklungshilfeagentur AusAID. Wenn alles nach Plan geht, sollen zum Ende der Konferenz am Freitag Eckpfeiler eines Rahmenabkommen stehen.
Baker erinnert sich an Haiti, vier Monate nach dem Beben: "Überall waren Zeltstädte, die dort standen, wo vorher Häuser waren." Die Erdstöße vom 12. Januar 2010 hatten ein Land lahmgelegt, dass schon vorher zu den ärmsten der Welt gehörte. Es war schwer, die Arbeiten zu koordinieren. "Es gab eine regelrechte Flut von kleinen Grüppchen, Kirchengemeinden und ähnlichem vor allem aus den USA, die keine Erfahrung mit dem Vorgehen in einer solchen Situation hatten", sagt Baker.
Das ganze Land war zudem traumatisiert: Fast jeder hatte enge Verwandte verloren, viele zudem ihren Besitz. "Es gab Koordinierungstreffen, die auf der UN-Basis am Flughafen stattfanden, und wegen der Sicherheitsmaßnahmen dort war es für lokale Hilfsgruppen schwierig, teilzunehmen." Die Hilfe lief oft alles andere als optimal.
Katastrophenhilfe für Entwicklungsländer
Naturkatastrophen können jeden treffen. "Noch vor kurzem stand im Nordosten Australiens eine Fläche von der Größe Frankreichs und Deutschlands zusammen genommen unter Wasser", sagt der australische Entwicklungsexperte March mit Blick auf die Überschwemmungen zur Jahreswende. Auch Buschfeuer sorgen regelmäßig für Ausnahmesituationen.
Doch Australien, sagt March, könne sich meist selbst helfen. "Für viele Entwicklungsländer gilt das nicht." Dort seien vor allem die Ärmsten besonders gefährdet. Zudem seien sie oft von schleichenden Katastrophen wie anhaltenden Dürren betroffen. "Diese Naturkatastrophen werden viel zu wenig beachtet."
So stehen die ärmsten Staaten im Mittelpunkt der Beratungen in Genf. "Es geht darum, die Lehren aus Jahrzehnten zusammenzutragen und auszuwerten", verspricht Zoubida Allaoua von der Weltbank, die die Konferenz zusammen mit den UN organisiert. "Doppelarbeit wie in Haiti soll vermieden werden, die Absprachen etwa zwischen staatlichen Akteuren und Nichtregierungsorganisationen müssen verbessert werden."
Vorausschauend handeln
Im Mittelpunkt steht außerdem mehr Transparenz bei der Verteilung von Geld. Denn nicht immer kommen Hilfen wirklich bei den Bedürftigen an. So wichtig die koordinierte Bewältigung von Katastrophen sein mag - für den Australier March ist sie dennoch zweitrangig. Am besten sei die Katastrophe, die gar nicht erst eintrete. "Mit Hilfe von Kartierungen etwa identifizieren wir heute schon Orte, wo Risiken einer Katastrophe minimiert werden können."
Risikomanagement, betont auch die UN-Sonderbeauftragte für Katastrophenbekämpfung, Margareta Wahlström, sei kein Luxus mehr. "Strategien, um die Auswirkungen von Katastrophen zu reduzieren, sind heute auf allen Regierungsebenen unerlässlich, um die Bürger zu schützen."
Für die Beratungen zum Katastrophenschutz ist es höchste Zeit. Denn nach einer UN-Studie zu Naturkatastrophen war 2010 das Jahr mit den meisten Todesopfern - seit mindestens zwei Jahrzehnten. Fast 300.000 Menschen verloren ihr Leben, mehr als zwei Drittel davon in Haiti. Entwarnung ist nicht in Sicht: Die Vereinten Nationen sagen voraus, dass die Zahl der Katastrophen durch ungezügelte Verstädterung, Umweltzerstörung und Klimawandel weiter ansteigen wird.