Zeitschriften: Nischen im übersättigten Markt

Zeitschriften: Nischen im übersättigten Markt
Wie entstehen neue und innovative Zeitschriftenkonzepte? Große Verlage variieren gerne immer wieder das Gleiche. Dagegen wagen sich mutige Menschen gelegentlich an Nischenthemen. Zwischen Scheitern und großem Erfolg ist alles drin.
01.05.2011
Von Corinna Blümel

Vier Mal Hefte im Jahr statt nur zwei – das wär's. Der Rhythmus wäre für Anzeigenkunden und Vertrieb vertrauter, man könnte bei der Druckerei einen Rabatt aushandeln, und die Händler könnte mit dem Namen mehr anfangen, wenn Kundinnen nach der "Gazelle" fragen.

Gazelle - so heißt das multikulturelle Frauenmagazin, das die Journalistin Sineb El Masrar 2006 gegründet hat. Das Geschäft im Eigenverlag ist mühsam, die Mitarbeiterinnen arbeiten vorerst ehrenamtlich. Trotzdem ist die Deutschmarokkanerin überzeugt, dass sie das richtige Magazin für ihre Zielgruppe macht: gebildete Leserinnen mit besonderem Interesse an Kultur und Integration – gleich welcher Herkunft. Mit 1.000 neuen Gazelle-Abos ließe sich der Traum von vier Ausgaben im Jahr verwirklichen. Eine kleine Kampagne im Internet hat innerhalb von zwei Wochen immerhin schon 300 neue Abonnentinnen gebracht.

Viel Elan, wenig Geld

Viel Elan, aber zu wenig Geld: Mit diesen Problemen kämpfen viele unabhängige Zeitschriften mit ungewöhnlichem Konzept. Oft genug verlieren sie: So gab sich die viel gelobte Interviewzeitschrift Galore Anfang vergangenen Jahres endgültig geschlagen. Nicht mal als Onlinemagazin ließ sich das 2003 gegründete Projekt kostendeckend betreiben.

Dass trotzdem immer wieder neue Zeitschriften abseits der etablierten Verlagslandschaft aufblühen, liegt an Menschen wie Sineb El Masrar, die Lücken im eigentlich übersättigten Markt entdecken. Und es liegt an Vorbildern, die heute in den Zeitschriftenregalen prominent platziert sind: Hefte wie brand eins und mare, die Ende der neunziger Jahre entstanden und dem Zeitschriftenmarkt ganz neue Impulse gaben. Titel wie K.WEST, das "Feuilleton-Magazin für die Stadtlandschaft NRW", oder die ewig experimentelle Dummy. Beide entstanden 2003/04, als zahlreiche Blätter an den Start gingen. Die 2005 gestartete Publikumszeitschrift Landlust aus dem Landwirtschaftsverlag in Münster, der vor allem Agrarfachzeitschriften auflegt, zog eine ganze Welle von Nachahmerheften nach sich.

Auch in rauhen Zeiten gibt es mutige Gründer. Seit März 2010 erscheint das Wirtschaftsmagazin enorm, das den Themen Sozialunternehmertum und nachhaltiges Wirtschaften verschrieben hat. Der Start mitten in der Finanzkrise mag sogar ein Vorteil gewesen sein, so Sprecher Frank Plümer. Denn die Frage des bewussten Konsums beschäftigt gerade besonders viele Menschen. Gearbeitet wurde an dem Heftkonzept aber schon vor der Krise. Chefredakteur Thomas Friemel hatte dafür mit vier weiteren Gesellschaftern den Social Publish Verlag gegründet.

Investoren erleichtern den Start

Dass es Investoren für den Anschub gibt, erleichtert das Geschäft. Probleme mit dem Vertrieb kennt man hier nicht, weil der über einen Dienstleister läuft, und selbst ein kleines Marketing-Budget gibt es. Mit 3.500 Abonnenten plus 8.500 Exemplaren im Einzelverkauf sei das Magazin "auf einem guten Weg", so Plümer. Gewinne wirft das Ganze natürlich noch nicht ab, aber wenn die fließen, sollen sie in soziale Projekte investiert werde, wie schon jetzt ein Teil des Kaufpreises – ganz dem Anspruch von enorm entsprechend.

Auch das 2008 gegründete feministische Missy Magazine nutzt einen erfahrenen Vertriebspartner. Die Platzierung im Zeitschriftenregal macht trotzdem immer wieder Probleme – mit Beiträgen zu Popkultur, Politik und Style passt man nicht so recht ins Schema. Mal landen sie bei der Musik, mal bei den Frauen- und mal bei den Männermagazinen. Wo sie liegen wollen, ist für Mitherausgeberin Chris Köver klar: "bei Neon, Campus und anderen jungen Gesellschaftsmagazinen".

Mit seinem Themenmix ist das Missy Magazine ein Gegenentwurf zu all den Frauentiteln der großen Verlage, die nach viel Marktforschung doch lieber bei bewährten Inhalten bleiben. Den Mut für radikal neue Projekte scheinen die Großverlage in den vergangenen Jahren fast verloren zu haben. Immerhin kann sich Gruner + Jahr (G+J) den hausinternen Kreativwettbewerb "Grüne Wiese" zugute halten. Der brachte unter anderem die Männerzeitschriften Business Punk und Beef! hervor, die 2009 beziehungsweise 2010 auf den Markt kamen.

Fußballmagazin "11 Freunde" erfolgreich

Ansonsten schauen sich die großen Verlage gerne in der freien Szene um – und schlagen im Einzelfall zu. Zum Beispiel beim Fußballmagazin 11 Freunde, das sich in zehn unabhängigen Jahren zu einer Auflage von 80.000 Exemplaren hochgearbeitet hatte. Mitte 2010 sichert sich G+J den Mehrheitsanteil. Oder Alley Cat, das erotische Lifestyle-Magazin für junge Frauen: Gründerin Ina Küper, die es 2008 als Examensarbeit für ihr Modejournalismus-Studium entwickelt hatte, stieß an ihre Grenzen als Einzelkämpferin und klopfte bei Burda an. Nach der Übernahme 2010 machte das weiterentwickelte Heft einen Auflagensprung auf 150.000.

Die Missy-Macherinnen sind jetzt bei 3.000 Abos angekommen, Tendenz steigend: Leben können sie von ihrem Projekt noch nicht. Könnten sie sich einen ähnlichen Weg wie Alley Cat vorstellen? Eine schwierige Frage, räumt Chris Köver ein: "eher nicht." Sie hält es für unwahrscheinlich, bei einer solchen Zusammenarbeit die vollständige Kontrolle über die Ausrichtung des Heftes zu behalten. "Um die eigenen radikalen Inhalte transportieren zu können", seien unabhängige Medien und Netzwerke wichtig. "Insofern verlegen wir das Heft lieber weiter selbst – auch wenn das ein hohes persönliches finanzielles Risiko bedeutet."


Corinna Blümel ist freie Journalistin in Köln.