TV-Tipp des Tages: "Im Meer der Lügen" (ARD)

TV-Tipp des Tages: "Im Meer der Lügen" (ARD)
Als Stefanie morgens aufwacht, ist das Hotelzimmer voll Blut und Kai fort. Als mutmaßliche Mörderin wäre sie wohl für immer im mexikanischen Vollzug verschwunden, hätte ihr ein Anwalt nicht zur Flucht verholfen.
29.04.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Im Meer der Lügen", 30. April, 20.15 Uhr im Ersten

"Mit den Karten, die dir das Leben zugespielt hat, kannst du unmöglich glücklich sein": ein Satz wie aus einem Frauenroman; in der Wirklichkeit reden beste Freundinnen vermutlich anders miteinander. Aber Andrea Heine ist keine beste Freundin, und Stefanie Ritter hätte sehr wohl allen Grund, mit ihren Karten glücklich zu sein, denn das Leben kann auch anders; und deshalb ist "Im Meer der Lügen" dann doch kein Frauenroman.

Schon gleich zu Beginn deuten düstere Zwischenschnitte auf einen Strauß verwelkter Rosen an, dass Stefanie schwere Zeiten bevorstehen. Die Rosen hat man zwar kurz drauf wieder vergessen, doch die düstere Ahnung bleibt. Zunächst aber scheint die Frohnatur (Ann-Kathrin Kramer), um die vierzig, alleinerziehende Mutter und Besitzerin einer Berliner Reinigung wie auch eines hübschen Eigenheims im Grünen, am Ziel ihrer Wünsche: Eines Tages schneit Kai (Thomas Sarbacher), schmucker Pilot und extrem charmant, in ihr Geschäft. Im Gegensatz zu dem Kaffeefleck auf seiner Uniformjacke ist der Eindruck, den er hinterlässt, durchaus bleibend.

Kai fühlt offenbar ähnlich, man verliebt sich, das Paar fliegt nach Mexiko. Dort aber endet das liebliche Idyll abrupt: Als Stefanie morgens aufwacht, ist das Hotelzimmer voll Blut und Kai fort. Als mutmaßliche Mörderin wäre sie wohl für immer im mexikanischen Vollzug verschwunden, hätte ihr der zwar versoffene, aber mutige Anwalt Paul Linke (Wolfgang Stumph) nicht zur Flucht verholfen. Nach Monaten zurück in Deutschland, muss Stefanie erkennen, dass ausgerechnet Andrea (Marion Mitterhammer) schon vor Jahren ein perfides Spiel eingefädelt hat. Da taucht als rettender Engel Linke auf, der ihr nach Berlin gefolgt ist.

Zweiter Teil ab 21.45 Uhr

Spätestens im zweiten Teil (ab 21.45 Uhr) entwickelt Rolf-René Schneiders Geschichte (Regie: Jörg Grünler) eine beeindruckende Spannung; die Aufdeckung der wahren Pläne Andreas sorgen sogar für einen echten Gänsehauteffekt. Der Auftakt wirkt dagegen wie ein etwas zu lang geratener Prolog. Die diversen Klischees haben letztlich nur den Zweck, Stefanies Fallhöhe zu vergrößern. Deshalb müssen die Darsteller auch durch die Bank überagieren; gerade die Damen zeigen entschieden zu oft ihre makellosen Zähne. Auch die Gefängnisszenen sind von üblicher Stereotypie, zumal Kramer es nicht übers Herz gebracht hat, sich dem ansonsten asketischen Haftalltag ungeschminkt zu stellen. Schon zuvor war sie ohnehin viel zu hübsch, um glaubhaft das Mauerblümchen zu verkörpern. Marion Mitterhammer gelingt es immerhin, der Schablone des mondänen Großstadt-Singles gerade so viele Zwischentöne abzugewinnen, dass sie ihre Darstellung nur um Nuancen verändern muss, um auch Andreas Abgründe glaubwürdig zu vermitteln.

Die Rolle von Paul Linke ist zwar auch nicht eben differenzierter, aber trotzdem facettenreicher. Der Zweiteiler wäre daher ohne Wolfgang Stumph nur halb so schön. Selbst wenn er auch in dieser Geschichte den Sachsen mit Herz spielt, so ist diese verkrachte Existenz für seine Verhältnisse doch recht weit vom treuen Stubbe entfernt.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).