"Marie und der Charme des Bösen", 5. Mai, 20.15 Uhr im Zweiten
Die Wiederholung dieses zweiten Films über Marie Brand (Mariele Millowitsch) steht noch ganz im Zeichen der ursprünglichen Konzeption, von der das ZDF mittlerweile deutlich abgewichen ist. "Marie kann zaubern" hieß die Krimireihe in der Produktionsphase. Der Titel wäre allerdings irreführend gewesen. Die Titelheldin, Kommissarin aus Köln, kann keineswegs zaubern; sie ist schlicht und einfach brillant. In ihrem zweiten Fall hat sie es mit einem Gegenspieler zu tun, der ihr beinahe ebenbürtig ist. Natürlich bezieht die Geschichte ihren Reiz aus dem Umstand, dass sich der enorm erfolgreiche Wirtschaftsanwalt der Polizei haushoch überlegen fühlt.
Der Fall scheint aufgeklärt
Zunächst aber ist er allen Anschein nach ohnehin vor allem Opfer: Ulf Tilmann soll mit Hilfe einer Autobombe ermordet werden; der Anschlag trifft jedoch eine Mitarbeiterin. Feinde hat er genug: Der Jurist ist Experte für Unternehmensrationalisierungen und eine Art Guru all jener Firmenchefs, die unbequeme Mitarbeiter loswerden wollen. Tatsächlich ist der Täter alsbald gefunden: Ein Mann (Tilo Prückner) gibt dem Anwalt die Schuld am Freitod seiner Frau, droht sich, Marie Brandt und ihren Kollegen Simmel (Hinnerk Schönemann) in die Luft zu jagen und schießt sich dann eine Kugel in den Kopf. Der Fall ist geklärt, der neue Leiter (Thomas Heinze) der Mordkommission will die Akten schließen. Bloß Marie bleibt skeptisch.
"Marie und der Charme des Bösen" ist sogar noch besser als der Auftakt. Millowitsch und Schönemann wirken nicht nur eingespielter, die Figuren vertiefen auf geradezu liebevolle Weise ihre typischen Eigenschaften; das gilt vor allem für Schönemann, der Jürgen Simmel hingebungsvoll als leicht zu durchschauenden Proll mit Polizeimarke verkörpert. Entsprechend verblüfft ist man, wenn der zu maßloser Selbstüberschätzung neigende Ermittler am Ende eine Falle stellt, in die das Publikum genauso hineintappt wie der charismatische Anwalt. Den wiederum spielt Harald Krassnitzer in der Tat mit jenem diabolisch manipulativen Charme, den der Titel verspricht.
Ein Geldstück aus dem Ohr gezaubert
Richtig gute darstellerische Leistungen sind in der Regel eine Frage von Drehbuch (Alexander Adolph und Eva Wehrum) und Regie (Christoph Schnee), und auch in dieser Hinsicht ist "Marie und der Charme des Bösen" herausragend. Gerade weil Maries analytischem Blick kaum ein Detail entgeht, muss sich der Film natürlich mit dem gleichen Maßstab messen lassen, was er problemlos übersteht. Um so schöner, dass es auch Szenen wie jene gibt, in der Marie einen Jungen beeindrucken will und ihrem Kollegen ein Zwei-Euro-Stück aus dem Ohr zaubert. Als der Junge einen Hunderter fordert, muss Marie passen, aber Simmel rettet die Situation, indem er erklärt, er habe ohnehin nur Kleingeld im Kopf.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).