We are so froh! Wenn es nur schon vorbei wäre...

We are so froh! Wenn es nur schon vorbei wäre...
Wie sieht Kates Kleid aus und wie lange küsst William die Braut? Heute kennt die Welt keine anderen Probleme als den royal verlogenen Trash in London. Und alle Medien spielen mit, vom letzten Klatschblatt bis zu den Öffentlich-Rechtlichen. Das ist peinlich, lächerlich, empörend. Zeit für eine Polemik.
28.04.2011
Von Bernd Buchner

Religion, sagte Karl Marx, ist das Opium des Volkes. Wer sich an der Wirklichkeit nicht berauschen kann, flüchtet in die Jenseitsgläubigkeit. Wer es nicht versteht, sich im Diesseits zu bereichern, hofft auf Reichtum im Himmel. Dieses Opium ist keine Medizin, sondern schläfert ein: Wer Kerzen entzündet, baut keine Barrikaden. Wer betet, hat keine Hand mehr frei fürs Steinewerfen. Wer alte Herren mit Bart oder andere Götter anbetet, kann uns nicht gefährlich werden, meinen zumindest die Herrschenden.

Das Opium des Volkes

Das war im 19. Jahrhundert. Heute ist das Opium des Volkes nicht mehr die Religion, sondern der Trash. Schlechte Sänger und hässliche Möchtegern-Models werden uns jeden Tag als Stars verkauft. Was aber treibt die Einschaltquoten des TV-Mülls und die Auflagen hirntoter Glamourblätter in die Höhe? Die vermeintliche Bildungsferne kann es allein nicht sein. Durch den Trash wird die Blödheit erst hoffähig gemacht. Auch denkende Menschen sehen gern dorthin – und über die eigentlichen Probleme hinweg.

Der Höhepunkt des Trashs ist die royale Variante. Wenn der Enkel der britischen Königin heiratet, brechen alle Dämme. Die Medien überschlagen sich, "Bunte" und "Gala" ziehen ihre Erscheinungstermine vor, die gebührenfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen übertragen den Zinnober stundenlang live. Das ZDF bietet online "Dos und Don'ts auf royalen Hochzeiten" - als ob ein einziger der Zuschauer dort hinmüsste - und jubelt: "We are so froh!" In deutschen Kneipen ist die Hochzeit auf Großleinwand zu sehen, selbst Trauringläden bitten die Kunden zum Kate-Gucken.

William und Kate auf einem Gemälde des indischen Künstlers Jagjot Singh Rubal aus Amritsar. Er will das Bild dem Brautpaar zur heutigen Hochzeit schenken. (Foto: dpa / Raminder Pal Singh)

Um wen oder was geht es da eigentlich? Um ein junges Paar, von dem man viel zu wissen glaubt und doch nichts weiß. Warum sollte es bei William und Kate besser sein als bei Charles und Diana? Diese fragwürdigen Gefühle, das ganze Getue. Dazu die Buckingham-Regularien: Ein knallharter Ehevertrag wurde ausgehandelt, im Fall einer Trennung wird Kate vom Hof verjagt und darf ihre Kinder nicht erziehen, wenn sie welche bekommt. Die gehören dann nämlich zu den Royals, die heutige Braut nicht mehr. Alles klar geregelt.

Nun kann man sagen: In all dem Sumpf von schlechten, ja katastrophalen Nachrichten ist das doch was fürs Herz, so eine pompöse Sache wärmt das Gemüt. Wer will schon ständig über platzende Atomreaktoren, explodierende Bomben, verhungernde Kinder, ertrinkende Flüchtlinge und verspätete Züge nachdenken. Aber was bringt es, vor diesen Wirklichkeiten zu flüchten? Wer kann sich guten Gewissens "Kiss me Kate" anschauen, während uns der soziale Zusammenhalt, das ökologische Gleichgewicht und der ganze Planet um die Ohren fliegen?

Abschalten! Sofort!

Man muss nicht gleich das Manifest "Der kommende Aufstand" heranziehen, das ein extrem düsteres Untergansszenario entwirft. Aber ein bisschen ziviler Ungehorsam darf es schon sein, im Land der Wutbürger. "Gehorsam" ist schließlich ein Wort, das Kate Middleton aus ihrem Eheversprechen gestrichen hat. Es ist auch eine Haltung zu sagen: Die Farbe von Kates Kleid ist uns wuppe. Und Williams Kuss ist Privatsache. Die TV-Zuschauer mögen den Leitspruch der vergangenen Wochen beherzigen: Abschalten! Sofort!


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für das Ressort Kirche + Religion.