Einmal Bengasi-Wuppertal und zurück

Einmal Bengasi-Wuppertal und zurück
Früher habe man daheim den Mund nur beim Zahnarzt aufmachen dürfen: Ein Libyer aus Wuppertal-Elberfeld bestaunt in seiner Heimatstadt Bengasi eine völlig neue Welt. Nicht jeder Heimkehrer kämpft gegen die Gaddafi-Truppen. Doch für alle ist der Tod allgegenwärtig.
28.04.2011
Von Anne-Beatrice Clasmann

Wie in Trance läuft Muftah al-Teira (33) durch die Straßen seiner Heimatstadt Bengasi. Der Libyer, der seit acht Jahren in Deutschland lebt, raucht eine Zigarette nach der anderen, seine Augen strahlen. "Alles ist anders jetzt und besser hier, sogar die Luft, die Sonne und der Mond", schwärmt er. Die Erinnerung an die Razzien, Verhöre und Schläge, die ihn damals dazu brachten, seine Heimat zu verlassen, ist noch nicht verblasst.

Nach vorne schauen

Einer seiner sieben Brüder hatte sich 1996 der radikalen Kämpfenden Islamischen Vereinigung in Libyen (LIFG) angeschlossen, die Muammar al-Gaddafi stürzen wollte. Immer wieder wurde Muftah al-Teira zu Hause abgeholt und verhört - so lange bis sein Bruder Mohammed 1999 zusammen mit anderen Mitgliedern der Gruppe am Strand von Bengasi erschossen wurde.

Doch Mufta al-Teira will jetzt nach vorne schauen. Vor einem Hotel in Bengasi steht an diesem kühlen Frühlingstag eine kleine Gruppe von Demonstranten mit der alten libyschen Fahne, die zum Banner der Aufständischen gegen Machthaber Gaddafi geworden ist. Al-Teira stellt sich zu ihnen. Er kann es immer noch nicht fassen, dass die Menschen hier jetzt frei ihre Meinung sagen können, so wie in Deutschland, seiner zweiten Heimat. "Früher durfte man in Libyen den Mund nur beim Zahnarzt aufmachen", sagt er.

Ein Monat Freiheit

Al-Teira ist erst seit einigen Tagen in Bengasi, der Hochburg der Aufständischen. Die Wochen zuvor, die er in seiner kleinen Wohnung in Wuppertal-Elberfeld verbrachte, waren für ihn eine seelische Achterbahnfahrt. Erst freute er sich, als der Aufstand begann. Im Fernsehen sah er, wie die Menschen in seiner Heimat ihre Angst abschüttelten und sich gegen Gaddafi auflehnten. Dann, einen Monat später, kam die Nachricht vom Tod seines Bruders Nusair. Er hatte sich den Rebellen angeschlossen und wurde von den Gaddafi-Truppen getötet, die bei ihrem Vormarsch am 19. März den Westrand von Bengasi erreicht hatten. Die Hilfe der Franzosen, die diese Offensive kurz darauf mit mehreren Luftangriffen beendeten, kam für ihn zu spät.

Als Nusair al-Teira starb, hatte er gerade mal einen Monat in Freiheit verbracht. Denn das Regime hatte ihn als Islamisten eingestuft. Mehrere Jahre lang saß er im Gefängnis.

Auch Al-Teiras älterer Bruder Suleiman (37) hat sich den Truppen der Aufständischen angeschlossen. Er trägt Hemd und Hose in militärgrün. In einem Knopfloch baumelt eine Plastikkarte, die ihn als Angehörigen einer Einheit der Aufständischen-Truppen ausweist. Er teilt die Begeisterung seines jüngeren Bruders für den neuen Geist, der in den Straßen von Bengasi zu spüren ist. Doch der Tod seines Bruders und die vielen anderen Leichen, die er in den vergangenen Wochen gesehen haben, machen ihn nachdenklich. Er sagt: "In den ersten Tagen der Revolution gehörte ich zu denjenigen, die sagten, Gaddafi muss unbedingt vor Gericht gestellt werden, aber inzwischen denke ich, es wäre besser, er würde einfach abhauen aus Libyen, damit das Blutvergießen aufhört."

"Deutschland ist meine zweite Heimat geworden"

Zwei Tage war der Wuppertaler Muftah al-Teira unterwegs, um endlich seine Eltern wiederzusehen, die er seit seiner Flucht nach Deutschland nicht mehr getroffen hatte. Erst flog er nach Kairo, dann fuhr er mit dem Auto nach Ost-Libyen. Für ihn ist völlig offen, was die Zukunft bringt. Doch die Brücke nach Deutschland will er auf keinen Fall abreißen, obwohl er dort seit zwei Jahren keine Arbeit mehr hat. Er besitzt als Flüchtling eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung und will sich bald eine neue Stelle suchen, "auch damit mein Antrag auf den deutschen Pass bewilligt wird".

Muftah sagt: "Die ersten Jahre in Deutschland waren hart für mich, ich verstand kein Wort und ich habe als Leiharbeiter angeheuert, obwohl ich in Libyen 2001 die Fachhochschule für Informatik abgeschlossen hatte. Aber inzwischen ist Deutschland meine zweite Heimat geworden."

Muftha al-Teira hat noch zwei weitere Brüder, die in Deutschland leben. Hamad war noch zu DDR-Zeiten zum Studium nach Dresden gegangen und hatte eine Deutsche geheiratet. Marei ließ sich später in Mannheim nieder und ist inzwischen Mitglied einer libyschen Menschenrechtsgruppe.

Von Mohammed ist nur ein Foto geblieben

"Als sich unser Bruder Mohammed damals der Kämpfenden Gruppe anschloss, wusste zunächst niemand in der Familie davon, denn schließlich war das eine Geheimorganisation, über die man nicht sprechen durfte", sagt Muftah al-Teira. Trotzdem sei die ganze Familie bestraft worden. Er, Suleiman und Marei seien mehrfach verhört und misshandelt worden. Nusair sei im Gefängnis gelandet, weil er den im Untergrund lebenden Bruder Mohammed getroffen und ihm Kleider gebracht habe. Von Mohammed ist der Familie nur ein Foto geblieben, das die Aufständischen in einer Akte im Büro der Staatssicherheit in Bengasi fanden. Alle anderen Fotos, die seine Familie von ihm hatte, nahm der Geheimdienst ihnen damals weg. Nun will die Familie die Leiche von Mohammed suchen, die ihnen die Sicherheitskräfte 1999 nicht übergeben wollten.

Es bleibt die Frage, ob die militante Gruppe, der sich Mohammed al-Teira damals angeschlossen hatte, eine Terrororganisation ist, die von der gleichen menschenverachtenden Ideologie geleitet wird wie das Terrornetzwerk Al-Kaida von Osama bin Laden. Darüber rätseln bis heute Experten und Regierungsbeamte im Westen. Fragt man die libyschen Aufständischen, so bekommt man meist zu hören, die Organisation habe immer nur gegen Gaddafis Regime gekämpft und habe nichts mit den Visionen Bin Ladens von einem "Heiligen Krieg" gegen den Westen zu tun. Gaddafi habe sie nur als Al-Kaida-Ableger abgestempelt, um sich gegenüber dem Westen als Partner im Kampf gegen den islamistischen Terror anzubiedern.

dpa