"Donna Leon: Das Mädchen seiner Träume", 28. April, 20.15 Uhr im Ersten
Liebhaber der Romane Donna Leons werden die Brunetti-Filme für bemerkenswert schlicht halten. Betrachtet man gerade diese jüngste Verfilmung jedoch vorbehaltlos und losgelöst von der Vorlage, erweist sich "Das Mädchen seiner Träume" als nicht bloß untypischer, sondern auch bemerkenswerter Fernsehkrimi. Natürlich findet sich die Gesellschaftskritik der in Venedig lebenden Amerikanerin nur noch am Rande wieder, und selbstredend rückt das Drehbuch (Stefan Holtz und Florian Iwersen) den Kriminalfall, der im Buch fast bloß ein Vorwand ist, ins Zentrum. Der nachdenkliche Tonfall des Romans aber ist geblieben, zumal Regisseur Sigi Rothemund, der gemeinsam mit seinem Kameramann Dragan Rogulj bis auf die ersten beiden sämtliche Leon-Adaptionen inszeniert hat, angemessene Bilder findet.
Auf der Krimiebene sucht Brunetti (Uwe Kockisch) nach einer Erklärung für den Tod eines ertrunkenen Mädchens, das sich als diebisches Roma-Kind entpuppt und offenbar im Rahmen eines Raubzugs ums Leben gekommen ist. Geprägt aber werden Geschichte und Erzählweise durch den Tod von Brunettis Mutter, die von der ihrerseits vor zwei Jahren verstorbenen Christel Peters verkörpert worden ist. Immer wieder wird die Handlung unterbrochen, weil sich Brunetti in schwarzweißen Rückblenden an seine Kindheit erinnert. Seine eigenen Kinder kümmern sich um die Hinterlassenschaften der Signora und stoßen dabei auf allerlei Geheimnisse, von denen die Brunettis keine Ahnung hatten.
Selbst die obligate komische Ebene mit dem wunderbaren Michael Degen als tragikomischen Vice-Questore Patta ist diesmal zumindest zunächst ungewohnt ernsthaft: Brunettis Chef fordert seine Mitarbeiter zu politisch korrektem Sprachgebrauch auf und verdonnert sie zu einem entsprechenden Test, den er selbst allerdings prompt nicht besteht. Brunetti kann sich davor drücken, den Vorsitz einer entsprechenden Arbeitsgruppe übernehmen zu müssen, in dem er mit seinem Chef im Treppenhaus der Questura Verstecken spielt.
Kockisch, dessen herausragenden Qualitäten die Donna-Leon-Filme sonst kaum gerecht werden, darf diesmal ein deutlich breiteres Spektrum bedienen. Der rätselhafte Tod des Mädchens führt ihn hinter den ohnehin morbiden Kulissen Venedigs in eine düstere Parallelwelt, in der ausgerechnet ein Hüter des Gesetzes Kinder auf Raubzüge schickt. Gemessen daran sind die Zwischenspiele mit den diversen Gastdarstellern (Valerie Niehaus, Gunther Gillian) tatsächlich bloß Intermezzi, selbst wenn Jasmin Tabatabai (als Fotografin und Tante des toten Mädchens) und Kostja Ullmann (als Musiker und "Tigermann") schließlich einen größeren Anteil am dramatischen Finale haben. Berührender als die Lösung des Falls aber ist das Schlussbild, als Brunetti im Nachlass seiner Mutter die Aufklärung für das größte Geheimnis seiner Kindheit entdeckt.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).