Gleich nach Ablauf des über die Ostertage geltenden Schweigegelübdes zur Rücknahme des Parteiordnungsverfahrens gegen den Berliner Ex-Finanzsenator meldete sich Nahles am Dienstag zu Wort. "Man kann nicht einfach jemanden rauswerfen, auch nicht, wenn er sich so kontrovers verhält", lautete die Begründung. Der 66 Jahre alte Genosse auf Bewährung habe sich jetzt wieder "sozusagen auf den Boden der Meinungsfreiheit innerhalb der Partei begeben". Dies müsse eine demokratische Partei auch aushalten.
Mit dem Verzicht auf einen Parteiausschluss hat die SPD nach Überzeugung von Nahles einen "klugen Weg" eingeschlagen. Die Mitglieder seien ohnehin in dem Fall gespalten gewesen. Deshalb hätte es eine Lösung, "die alle zufriedenstellt", nicht geben können. Das sieht auch der SPD-Quälgeist so. Zwar haben schon einige Genossen ihr Parteibuch zurückgegeben, aber: "Vielleicht hätten noch einige mehr die Partei verlassen, wenn das Verfahren anders ausgegangen wäre", kommentierte Sarrazin gewohnt bissig.
Bisheriges Kalkül aufgegangen
Zumindest bislang ist nach Ansicht der Parteiführung das Kalkül nach Schadensbegrenzung einigermaßen aufgegangen. Die lautesten Proteste gegen den Ausstieg vom Parteiausschluss stammten von eher weniger prominenten Mitgliedern meist mit Migrationshintergrund.
Etwas unerwartet kam dagegen eine scharfe Kritik aus Stuttgart in Richtung Berlin. "Unsere mühselig aufgebaute Verankerung in der Einwanderer-Community droht Schaden zu nehmen", befürchtet der künftige baden-württembergische Vize-Regierungschef und SPD-Landesvorsitzende Nils Schmid. Sarrazins "dürre Erklärung" sei für ihn unbefriedigend, sagte Schmid, dessen Frau türkische Wurzeln hat, gegenüber "Spiegel Online". Von seinem "biologistischen Geschwätz" sei der frühere Bundesbank-Vorstand jedenfalls nicht abgerückt.
Auch in Sarrazins Berliner Landesverband war noch eine Menge Überzeugungsarbeit zu leisten. Auf einer Sondersitzung sollte der SPD-Landesvorstand am Dienstagnachmittag die abrupte Kehrtwende erklären. Empört wies Nahles Berichte zurück, wonach sie und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) wegen der Berliner Wahlen im September die Fäden für die Einstellung des Verfahrens im Hintergrund gezogen hätten. "Da kam kein Einfluss von außen, da hat niemand gedealt, das möchte ich einmal klarstellen", zeigte sie sich wegen dieser Vorwürfe ungehalten.
"Er weiß, was auf dem Spiel steht"
Nach einschlägigen Erfahrungen ganz überzeugt ist die SPD-Spitze aber auch nicht, ob Sarrazin seine Zusagen einhält, sich nun zu bessern. "Sicher kann man da nicht sein. Aber ich glaube, er weiß auch, was damit für ihn auf dem Spiel steht", stellte Nahles drohend in den Raum.
Der mitunter unberechenbare Verfasser des Longsellers "Deutschland schafft sich ab", von dem bislang 1,27 Millionen Exemplare in 18 Auflagen vom Verlag ausgeliefert wurden, ist jedenfalls weiter auf meist gut besuchten Lesungen quer durch die Republik unterwegs. Sein Publikum erwartet dabei von ihm auch Provokantes. Schon am 3. Mai, wenn Sarrazin erstmals nach Abwendung des SPD-Rauswurfs in der Stadthalle von Waltrop im Ruhrgebiet auftritt, dürfte die SPD genau zuhören, ob der augenscheinlich geläuterte Parteifreund zu seinen eigenen Versprechungen steht.