Die düsteren Szenarien von Tschernobyl und Fukushima

Die düsteren Szenarien von Tschernobyl und Fukushima
Wie stark strahlt Fukushima? Was muss geschehen, damit noch schlimmere Folgen des Gaus verhindert werden können? Noch ist es zu früh, die ganzen Ausmaße der Katastrophe in Japan schon genau abschätzen zu wollen. Dies ist eine der Lehren 25 Jahre nach der Katastrophe im ukrainischen Tschernobyl, die Betroffene und Experten am Mittwoch im Bundestag für die Zukunft zogen.
13.04.2011
Von Basil Wegener

"Tschernobyl und Fukushima verändern die Welt", sagt Hartmuth Teske, Abteilungsleiter der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit in der Anhörung des Umweltausschusses. Doch was kann man von Tschernobyl lernen oder für die Jahre nach der mehrfachen Reaktorkern-Zerstörung von Fukushima zumindest ahnen?

Die Katastrophen sind unterschiedlich. So schleuderten die Flammen der brennenden Graphitblöcke von Tschernobyl radioaktives Material zehn Tage lang bis zu 1000 Meter in die Luft. Experten vergleichen Fukushima eher mit einem anhaltenden atomaren Schwelbrand. Doch die Freisetzung von Radioaktivität hat auch in Japan enorme Dimensionen angenommen. Doch welche genau - und was ist noch zu fürchten?

Für zwei Jahrzehnte unbewohnbar

Aus einigen Orten 40 Kilometer von Fukushima Eins entfernt sollen die Bewohner binnen einen Monats umgesiedelt werden. Die Evakuierungszone könnte laut Ministerpräsidenten Naoto Kan für die nächsten 20 Jahre unbewohnbar bleiben - später dementierte er dies wieder. Trotz der drastisch klingenden Worte übt der Münchner Strahlenbiologe Edmund Lengfelder scharfe Kritik: "Der Informationsfluss aus Japan war miserabel. Die Sowjets haben ihr Problem zügiger behandelt als es die Japaner heute tun."

Seiner Meinung nach müssten Strahlenwerte konsequenter auch weiter weg von den Unglücksreaktoren gemessen und Evakuierungspläne generalstabsmäßig aufgestellt werden. Hier versage auch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO). Angelika Claußen von der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW fordert, die IAEO beim Kampf der Weltgemeinschaft gegen Strahlengefahren zu entmachten.

Was muss als nächstes geschehen? Zunächst müsse ein geschlossener Kühlkreislauf geschaffen werden, so dass verstrahltes Wasser nicht nach außen dringt, erläutert Joachim Knebel vom Karlsruher Institut für Technologie. "Das ist die dringendste Maßnahme." Und wie soll man im Inneren des Kraftwerks das Schlimmste eindämmen? "Da darf ich keinen hinschicken, da muss ich mit dem Roboter hin." Ein entsprechendes Angebot aus Karlsruhe habe Betreiber Tepco abgelehnt. Und dann müsse die Ruine gegen weitere mögliche Tsunamis mit hohen Schutzwällen geschützt werden. Auch ein Endlager für den tonnenweisen strahlenden Müll muss es laut Experten geben - eventuell auch einen Sarkophag wie in Tschernobyl.

7.000 Kinder gestorben

Niemand sollte glauben, die Folgen des GAU und ein Ende der Katastrophe schon jetzt genau vorhersagen zu können - soviel wird bei den erschütternden Berichten der Betroffenen aus der Ukraine und Weißrussland deutlich. Die Studien über die Tschernobyl-Opfer nennen sehr unterschiedliche Zahlen. Der Tschernobyl-Liquidator und ehemalige ukrainische Abgeordnete Wolodimir Usatenko sagt: "1987 bis 2004 sind über 50.000 Menschen verstorben, darunter 7.000 Kinder." 120 Millionen Kubikmeter völlig ungesicherten Atommüll gebe es.

Die Bevölkerung wisse auch 25 Jahre danach noch nicht, wie groß die Strahlengefahr ist. "Die Einschätzung der Situation ist im Moment nicht umfassend genug", sagt Usatenko. Die Umweltaktivistin im autoritär geführten Weißrussland, Tatiana Novikova, klagt: "Die Folgen der Katastrophe von Tschernobyl werden verschwiegen." Nach Fukushima müsse Deutschland und die EU dringend auf ihr Land einwirken, die Folgen von Tschernobyl öffentlich zu machen.

Und die Zukunft der Atomkraft? Eindringlich fordert Novikova Einflussnahme auf Weißrussland, so dass es auf den geplante Bau eines neuen AKWs mit russischer Hilfe verzichtet. Auch die Ukraine selbst setzt bislang weiter auf Atomkraft. Zwei neue Reaktoren seien geplant, sagt Botschafterin Natalia Zarudna. Angesichts von Fukushima könne zwar nicht gesagt werden, was daraus werde. Aber: "Kernenergie ist die preiswerteste Energieart in der Ukraine."

dpa