Wie kommt das Osterfest in die Kalender?

Wie kommt das Osterfest in die Kalender?
Über Ostern liegt ein Mysterium. Der wechselnde Termin des Festes beruht auf Kirchenregeln, die bis zu 1.700 Jahre alt sind - aber kaum jemand in der Kirche weiß, wie man sie anwendet und wer das macht.
11.04.2011
Von Klaus Merhof

"Ostern? Das steht doch im Kalender", sagt Reinhard Mawick, Sprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland. Es sei ein "bewegliches Kirchenfest" und könne pendeln zwischen dem 22. März und dem 25. April. Uralte Regeln legen den Termin fest: Der erste Sonntag nach dem ersten Vollmond am oder nach dem Frühlingsbeginn am 21. März - dann ist Ostern.

Genau diese eingängige Formulierung hält der Hamburger Astronom Bernd Loibl für falsch. Das Osterdatum folge nicht der Astronomie, sondern allein kirchlichen Festsetzungen. Der kirchliche Frühlingsanfang sei "nicht der Moment der astronomischen Tag- und Nachtgleiche", sondern immer der 21. März. Dies legte das Konzil von Nicäa im Jahr 325 fest. Und der "Kirchen-Vollmond" sei dem wirklichen Vollmond zwar außerordentlich gut angenähert, aber es könne auch Abweichungen geben, sagt Loibl.

"Kirchen-Vollmond"

So war im Jahr 1962 am Dienstag, 20. März, "Kirchen-Vollmond", also nicht im Frühling. Am 21. März war um 7.55 Uhr Weltzeit "echter" Vollmond - Ostern hätte demnach am folgenden Sonntag stattfinden können (25. März) - tat es aber nicht. Denn der erste kirchliche Frühlingsvollmond war später, am Mittwoch, 18. April 1962 - Ostern demzufolge erst am nächsten Sonntag, 22. April.

Der Kirchen-Vollmond folgt einem 19-jährigen Zyklus, den schon der griechische Gelehrte Meton im 5. Jahrhundert vor Christus entdeckte, sagt Loibl. Mit der Gregorianischen Kalenderreform, die Ende des 16. Jahrhunderts den Julianischen Kalender ablöste, wurde dieser Zyklus übernommen, modifiziert und leicht korrigiert, etwa auch durch Schaltjahre.

Wer aber sorgt heute dafür, dass die alten Kirchenregeln korrekt angewendet werden? Dafür gibt es Formeln, aber die sind kompliziert. Und die Ergebnisse können abweichen von den Vollmonddaten der Astronomen, die in den Kalendern stehen. Aber welches Kirchengremium weiß oder befasst sich damit, auf welches Datum der erste kirchliche Frühlingsvollmond fällt?

Bei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) gebe es ein solches Gremium nicht, sagt Kirchensprecher Mawick. Die Website des ÖRK beantworte "häufig gestellte Fragen zum Osterfest", aber nicht, wie der Ostertermin in die Kalender gerät.

"Liturgische Konferenz"

Vielleicht macht es der Vatikan? Das Erzbistum Hamburg verweist auf das Deutsche Liturgische Institut in Trier. Dessen Internetseite verrät, dass das Osterdatum eines jeden Jahres am Epiphaniastag (6. Januar) "ausgesungen" werde. Das sei "eine alte Tradition", sagt Institutsleiter Eberhard Amon, "entstanden gleich nach dem Konzil von Nicäa."

Damals hätten Gelehrte der Alexandrinischen Kirche den Ostertermin ausgerechnet und auch dem Papst mitgeteilt. Noch heute lässt sich die alljährliche Zeremonie sogar zum Singen downloaden, zu finden auf www.liturgie.de unter dem Suchbegriff "Ostertermin". Aber für den Druck moderner Kalender wäre diese Osterankündigung erheblich zu spät.

Auch bei der EKD gibt es eine "Liturgische Konferenz". Mitglied ist der Berliner Superintendent Bertold Höcker: "Niemand legt den Ostertermin konkret fest", sagt er. Dafür gebe es "immerwährende Kalender", etwa auch die Tabellen des Pfarrerkalenders. Mit den Formeln für den kirchlichen Frühlingsvollmond beschäftige sich die Konferenz nicht. Mittlerweile gebe es auch Osterrechner im Internet. Und ansonsten, sagt auch Höcker, gelte die alte Regel - erster Sonntag nach Frühlingsvollmond.

Müssten dann aber nicht erst Recht kirchliche Experten über den Ostertermin wachen? Der Verlag Vandenhoeck-Ruprecht, in dem der Pfarrerkalender erscheint, gibt an, die Daten gegen Lizenzen von säkularen Verlagen zu übernehmen. Für Aufhellung sorgt der Verlag "Brunnen, Schneider & Baier" in Heilbronn: "Wir beziehen unsere Kalenderangaben gegen Lizenz vom Astronomischen Recheninstitut der Universität Heidelberg", sagt ein Unternehmenssprecher.

Über Ostern liegt ein Mysterium

Bei den Heidelberger Astronomen arbeitet der promovierte Kalenderspezialist Reinhold Bien. "Ja", bestätigt er, "wir rechnen für Ostern mit den alten Kirchenformeln - die astronomische Berechnung der wirklichen Stellung von Sonne, Mond und Erde wäre viel zu aufwendig und kompliziert." Anfang des Jahres erschienen die "Astronomischen Kalendergrundlagen für 2013" - inclusive der Osterdaten von 2013 bis 2023.

Über Ostern liegt offenbar - neben der Auferstehung - ein weiteres Mysterium. Der wechselnde Termin des Festes beruht auf Kirchenregeln, die bis zu 1.700 Jahre alt sind - aber kaum jemand in der Kirche weiß, wie man sie anwendet und wer das macht. Das höchste Fest der Christenheit pendelt alljährlich durch den Kalender, ohne dass ein kirchliches Gremium damit beschäftigt wäre. Vielleicht, so könnte man munkeln, ist dies der Grund dafür, dass es störungsfrei funktioniert.

epd