Amnesty-Preis für Menschenrechte nach Mexiko

Amnesty-Preis für Menschenrechte nach Mexiko
Dass Kriminelle vor Gericht kommen und verurteilt werden, erscheint uns als Selbstverständlichkeit. Doch in anderen Teilen der Welt ist das keinesfalls immer der Fall. Der Mexikaner Abel Barrera mischt sich ein, um die Situation der Ureinwohner zu verbessern. Das gültige Gesetz aus Kolonialzeiten fördert den Rassismus gegenüber Indios. Für sein Engagement zugunsten des Rechtsstaats erhält er Morddrohungen. Nun wurde er mit dem Menschenrechtspreis von Amnesty International ausgezeichnet.
25.03.2011
Von Matthias Knecht

Abel Barrera hat es geschafft, Mexiko mehrmals auf die internationale Anklagebank zu bringen. Immer ging es dabei um schwere Menschenrechtsverletzungen durch Armee oder Polizei - und um untätige Justizbehörden. Nun zeichnet die deutsche Sektion von Amnesty International den 51-jährigen Anthropologen mit ihrem Menschenrechtspreis aus.

Barrera lebt im südmexikanischen Bundesstaat Guerrero, wo der sogenannte "Drogenkrieg" besonders heftig tobt. Staatspräsident Felipe Calderón schickte nach seinem Amtsantritt im Jahre 2006 Soldaten dorthin, um der Drogenmafia Herr zu werden. Doch Barreras Erfahrungen sind anders: "Die Unterdrückung hat seither zugenommen." Es gibt mehr Verschwundene und es gibt Morde, die wie Hinrichtungen verübt werden, in erster Linie von Armee, Polizei oder Paramilitärs.

Die Justiz fördert den Rassismus

1994 hat Barrera das Menschenrechtszentrum Tlachinollan gegründet, das ebenfalls von Amnesty ausgezeichnet wird. Anlass zur Gründung war die große Zahl von Ureinwohnern, die im Gefängnis sitzen, ohne zu wissen warum. Denn die meisten sprechen kein oder nur wenig Spanisch. "Sie werden bestraft, weil sie Indios sind", sagt Barrera. Es gebe einen "tiefsitzenden Rassismus" in Mexiko.

In die Fänge der Justiz geraten vor allem diejenigen Ureinwohner, die sich für ihre Rechte einsetzen. Mit Unterstützung von Amnesty gelang es Tlachinollan, die Freilassung zweier Indioführer durchzusetzen. Raúl Hernández kam 2010 nach mehr als zwei Jahren Untersuchungshaft frei, Felipe Arreaga 2005 nach einem Jahr. Beide waren mit gekauften Zeugen zu Unrecht des Mordes angeklagt.

Möglich wird solcher Justizmissbrauch durch ein völlig veraltetes Strafprozessrecht, das aus der spanischen Kolonialzeit stammt, die 1810 zu Ende ging. "Wer erst einmal angeklagt ist, muss seine Unschuld beweisen. Bis heute leben wir in der Inquisition", resümiert Barrera.

Nur zwei Prozent der Verbrechen werden aufgeklärt

Mexikos Justiz steckt nicht nur Unschuldige ins Gefängnis - sie lässt die meisten Mörder frei laufen, denn weniger als zwei Prozent der Verbrechen werden aufgeklärt. Regierung, Polizei und Armee haben damit freie Hand, brutal gegen Ureinwohner vorzugehen, die ihnen zu aufmüpfig sind. So verwüstete die Armee in Guerrero indianische Bergdörfer, nachdem die Einwohner Schulen und Gesundheitszentren gefordert hatten.

Dabei vergewaltigten Soldaten zwei Frauen. Tlachinollan gelang nach jahrelangem juristischem Tauziehen ein internationaler Erfolg: Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte den mexikanischen Staat, weil die Justiz die Anzeigen der beiden Frauen nie untersucht hat.

Barrera ist überzeugt, dass solche Fälle nur die Spitze des Eisbergs sind. Mindestens 25 Menschen verschwanden in Guerrero seit dem Amtsantritt von Calderón spurlos. Mindestens 14 Mitarbeiter von Tlachinollan und anderen indianischen Organisationen erhielten Morddrohungen. 2009 wurden die Indioführer Raúl Lucas und Manuel Ponce unter den Augen der Polizei am helllichten Tag entführt und später grausam zu Tode gefoltert.

Regierung kaschiert Indio-Morde mit "Drogenkrieg"

Mehr als 15.000 Menschen kamen 2010 im sogenannten Drogenkrieg in Mexiko um, wie aus der Regierungsstatistik hervorgeht. Doch Barrera glaubt ihr nicht. Denn er beobachtet, dass auch offensichtlich politisch motivierte Morde an Ureinwohnern den Drogenkartellen in die Schuhe geschoben werden. So im Fall der Indioführer Lucas und Ponce.

Die Justiz ermittelt so nachlässig, dass sie sich bereits Nachfragen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission einhandelte. Währenddessen bezichtigte die Regierung die beiden Mordopfer posthum der Verbindung zum Drogenhandel, ohne jegliche Beweise. Barrera: "Der Zynismus der Regierung ist grässlich."

Auch der Anthropologe selbst erhält seit zehn Jahren Morddrohungen - und sie machen ihm Angst. Gut möglich, dass ihm der Amnesty-Menschenrechtspreis, der am 27. Mai in Berlin überreicht wird, einen gewissen Schutz verschafft. Doch Aufhebens von seiner Person ist ihm peinlich: Die wahren Verteidiger der Menschenrechte sind für ihn die Indianer in den Bergen, die Hunger und Justizwillkür erleiden.

epd