"Der Besuch der alten Dame", 24. März, 21.45 Uhr im NDR Fernsehen
Rache kennt keine Verjährung, im Gegenteil: Nach Jahrzehnten schmeckt sie sogar noch süßer. Von ähnlicher Zeitlosigkeit und daher immer wieder verfilmbar sind die Stücke Friedrich Dürrenmatts. Auch sein 1956 entstandener "Besuch der alten Dame" lässt sich beinahe umstandslos in die Gegenwart übertragen. Eine zu Geld gekommene Frau, ihr bankrotter Heimatort, das unmoralische Angebot: Alles passt. Susanne Beck und Thomas Eifler haben Handlung moderat modernisiert, doch im Wesentlichen halten sie sich eng an die Vorlage: Viele Jahre nach ihrer Flucht kehrt Klara Wäscher in ihren Heimatort Güllen zurück. Allerdings heißt sie nach der Hochzeit mit einem Ölmagnaten jetzt Claire Zachanassian, und da der Gute verblichen ist, verfügt nun Claire über die Milliarden.
Alfred Ill muss sterben
Die Bürger empfangen sie mit entsprechenden Hoffnungen, denn nach der Schließung der örtlichen Fabrik ist die Kleinstadt von Armut geprägt. Tatsächlich ist Claire bereit, jedem Einzelnen unter die Arme zu greifen: Zwei Milliarden will sie unter den Einwohnern verteilen. Einzige Bedingung: Alfred Ill muss sterben. Der Ort ist entsetzt, doch als Claires Motiv bekannt wird, schlagt die Stimmung um: Der Autoverkäufer hatte Klara damals geschwängert und sitzen gelassen. Als sie ihn verklagte, sorgte Ill mit Hilfe bestellter Aussagen dafür, dass Klara als Hure galt und mit Schimpf und Schaden davon gejagt wurde.
Dürrenmatt hat sein Drama ausdrücklich als tragische Komödie etikettiert. In der Inszenierung von Nikolaus Leytner überwiegt allerdings eindeutig die Tragödie. Die Honoratioren des Ortes, bei Dürrenmatt lauter lächerliche Männer, erscheinen hier als harmlose Zeitgenossen, die der Verlockung des in Aussicht gestellten Reichtums nicht widerstehen können. Auch die namhafte Besetzung dieser Rollen mit unter anderem Dietrich Hollinderbäumer (Bürgermeister), Helmut Berger (Sparkassenchef) und Rolf Hoppe (Schulrektor a.D.) trägt dazu bei, dass die hohen Herren nicht zur Karikatur werden. Bezeichnend ist der Absturz des skrupulösen und zunächst strikt abstinenten Rektors, der mehr und mehr zum Säufer wird.
Aber der Film lebt naturgemäß von den beiden Hauptdarstellern. Für Christiane Hörbiger ist die Titelfigur selbstredend eine Paraderolle. Äußerlich kerzengerade, während sie sich innerlich vor Schmerzen krümmt, zerbrechlich, aber würdevoll: Mit eiskaltem Blick und wächsernem Gesicht lässt Claire alle Appelle an alte Zeiten stoisch an sich abprallen. Dass der Part des Gegenspielers ausgerechnet mit Michael Mendl besetzt wurde, Hörbigers Partner in diversen Seniorenromanzen ("Hengstparade", "Mathilde liebt"), gibt dem Film einen weiteren Reiz, zumal Mendl als Sympathieträger eingeführt wird und das trotz seiner früheren Verfehlungen auch bleibt: Ihrer Empörung zum Trotz beginnen seine Mitbürger, Geld auszugeben, das sie noch gar nicht haben.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).