"Polizeiruf 110: Leiser Zorn", Sonntag, 13. März, 20.15 Uhr im Ersten
Die Zurückhaltung ehrt Thorsten Näter und den MDR. Ein Privatsender wäre mit dem Thema Amoklauf wahrscheinlich ganz anders umgegangen. Der Film "Leiser Zorn" aber baut die Spannung behutsam auf, fast unmerklich. Dank einer ausgezeichneten Besetzung kann Näter (Buch und Regie) seine Geschichte ohnehin sehr vielschichtig erzählen. Schon die Eingangssequenz vereinigt kunstvoll alle Figuren, die im Lauf der Handlung ins Visier der Ermittler geraten werden.
Ihr Weg führt sie zu der Leiche einer jungen Frau: Anka, ein Mädchen aus gutem Hause, galt nach dem Tod ihres Vaters zwar als schwermütig, ist aber eindeutig von einem Dach in die Tiefe gestoßen worden. Menschen mit Motiv gibt es zuhauf, darunter ihr Ex-Freund, mit dem sie abrupt Schluss gemacht hat; ihre Freundin, der sie diesen Freund zuvor ausgespannt hatte; und einen russischen Aussiedlerjungen, mit dem sie sich angelegt hat. Ein viel interessanterer Verdächtiger aber ist Ankas Lehrer Benneke (Devid Striesow), in den sie offenkundig verliebt war. Am Tatort haben die Spurensucher einen teuren Füller gefunden, den Frau Benneke ihrem Mann geschenkt hat.
Ankündigung eines Amoklaufs
Mindestens so reizvoll wie die Mördersuche sind die Geschichten am Rande. Näter integriert sie so geschickt in die Handlung, dass sie nie überfrachtet wirkt. Christian Redl spielt einen "Wendeverlierer", der sein karges Einkommen durch das Sammeln von Leergut aufbessert. Er landet ebenfalls auf der Liste der Verdächtigen, denn bei ihm findet die Polizei die Sachen des Mädchens. Auch die Aussiedlerproblematik spielt eine Rolle, zumal die Stimmung zwischen den deutschen und den russischen Jugendlichen ausgesprochen feindselig ist. Erst recht faszinierend aber wird der Film, als die Ermittler auf Ankas Rechner einen E-Mail-Briefwechsel mit einem so genannten Krieger finden, der (passend zum Kleist-Jahr) Heinrich von Kleist zitiert und Videobotschaften schickt. In den animierten Bildern geht es um den gemeinsamen Freitod. Der letzte Film ist allerdings die kaum verschlüsselte Ankündigung eines Amoklaufs; der potenzielle Mörder ist bewaffnet und auf dem Weg zu einem großen Volksfest.
Im Gegensatz zu früheren "Polizeiruf"-Krimis aus Halle, die immer gern gemächlich waren, ist "Leiser Zorn" von Anfang an fesselnd. Am Ende steigert sich das noch, zumal Näter seine Hauptdarsteller mitten ins Gewimmel des bekannten Laternenfests geschickt hat. Spätestens das Finale, als Schmücke (Jaecki Schwarz) allein den Täter stellt, treibt die Spannung auf die Spitze. Davon abgesehen erweist sich Isabell Gerschke erneut als Glücksgriff, weil sie als Dritte im Bunde des Ermittler-Teams nach wie vor für viel frischen Wind sorgt und selbst in einer Kampfsporteinlage eine gute Figur macht. Schwarz als Platzhirsch bekommt allerdings zwei Auftritte: In einer der wenigen heiteren Szenen nimmt er den jungen Aussiedlern das Segel aus dem Wind, als sie sich auf russisch über ihn lustig machen; die Sprache beherrscht der alte Hase selbstredend auch.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).