Filmkritik: "Almanya - Willkommen in Deutschland"

Filmkritik: "Almanya - Willkommen in Deutschland"
Ist Multikulti vorbei? Selten wurde das deutsch-türkische Verhältnis mit so viel Witz und Gefühl dargestellt wie in "Almanya - Willkommen in Deutschland".
08.03.2011
Von David Siems

Türkischstämmige Jugendliche sollen es so machen wie Mesut Özil. Der kleine deutsch-türkische Wunderdribbler in Diensten von Real Madrid gilt hierzulande als Vorzeigebeispiel für Integration und Völkerverständigung. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mogelte sich im vergangenen Herbst sogar in seine Umkleidekabine und ließ sich medienwirksam mit dem halbnackten Kicker beim Handshake fotografieren. Diese Geste torpedierte sie merkwürdigerweise ein paar Wochen später mit der Aussage: "Multikulti ist in Deutschland gescheitert." Oder doch nicht?

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Die Schwestern und Filmemacherinnen Yasemin und Nesrin Samdereli liefern nun den aktuellsten Beitrag zur Integrationsdebatte, der sie vielerorts mit der unvermeidlichen Frage konfrontiert, ob sie mit ihrer Kunst wohl ähnlich verbindende Qualitäten wie Mesut Özil haben. Die beiden Deutsch-Türkinnen aus Dortmund setzen in "Almanya - Willkommen in Deutschland" das Aufeinanderprallen der Kulturen mit Gags und ironisch überzeichneten Klischees in Szene, ohne dabei Originalität vermissen zu lassen.

Als Hüseyin (Vedat Erincin) nach 45 Jahren Aufenthalt endlich Anspruch auf einen deutschen Pass hat, begegnet ihm der Beamte der Einbürgerungsbehörde im Traum. Bedingungen für die deutsche Staatsbürgerschaft: Mitglied in einem Schützenverein werden, zweimal die Woche Schweinefleisch essen, jeden Sonntag "Tatort" gucken und alle zwei Sommer nach Mallorca reisen. Schweißgebadet schreckt der rüstige Senior hoch, im Alptraum trug seine Frau Fatma (Lilay Huser) plötzlich Dirndl und redete Bayerisch.

Almanya - das Land "wo es nur Kartoffeln gibt"

Doch "Almanya" ist nicht nur eine Bestandsaufnahme der deutsch-türkischen Eigenarten, sondern vor allem die Geschichte einer Einwandererfamilie in Zeiten des Wirtschaftswunders. Erzählte Fatih Akin in "Solino" noch von der ersten italienischen Pizzeria im Ruhrgebiet, geht es hier um den einemillionundersten Gastarbeiter, der aus einem anatolischen Dorf in das Land kommt, "wo es nur Kartoffeln gibt".

Die Sprachbarriere visualisieren die Samdereli-Schwestern mit einem künstlerischen Trick, der zugleich ein Zitat ist: Wie in "Der große Diktator" von Charlie Chaplin hört der türkische Neuankömmling die deutsche Sprache als gebelltes Kauderwelsch aus kantigen Lauten und aggressiven Konsonanten, das sich mit den Jahren mehr und mehr aufweicht.

Ohnehin ist es wunderbar anzuschauen, wie der Film über Themen wie Heimweh und kulturelle Identität sinniert, ohne dabei sentimental oder oberflächlich zu wirken. Die Rahmenhandlung dafür liefert ein turbulenter Trip von Hüseyins Familie in das Land der Vorfahren. Für die jüngsten Familienmitglieder ist längst "Almanya" zur Heimat geworden, und nicht die türkische Provinz. Die Fahrt wird so zur Reise in die eigene Vergangenheit und zu den Wurzeln der eigenen Identität.

"Almanya" ist randvoll mit Episoden und Beobachtungen, wie Multikulti anno 2011 in Deutschland aussieht. Dennoch sollte man der Versuchung widerstehen, den Film für politische Zwecke zu instrumentalisieren.

Deutschland 2010. Regie: Yasemin Samdereli. Buch: Nesrin Samdereli, Yasemin Samdereli. Mit: Vedat Erincin, Walter Sittler, Axel Milberg, Petra Schmidt-Schaller. 97 Min. FSK: 6, ffr. FBW: besonders wertvoll.

epd