Grüne Wirtschaft hilft Mensch und Umwelt

Grüne Wirtschaft hilft Mensch und Umwelt
In einem Jahr wird im brasilianischen Rio de Janeiro "Rio+20" stattfinden. Auf der Folgekonferenz des Erdgipfels von 1992 stehen die Entwicklung einer "grüneren" Wirtschaft sowie der Kampf gegen die Armut auf dem Programm. Dazu hat Umweltorganisationen der Vereinten Nationen (UNPEP) schon jetzt den Report "Towards a Green Economy: Pathways to Sustainable Development and Poverty Eradication" veröffentlicht, der ein Fundament von "Rio+20" werden soll.
07.03.2011
Von Michael Lenz

Abuhar ist ein winziges Dorf in Bihar. Der indische Bundesstaat gehört zum "Kuhgürtel", wie der arme Norden Indiens genannt wird. Die 1200 hinduistischen und muslimischen Einwohner von Abuhar sind Dalit, Unberührbare. Ihren Lebensunterhalt verdienen sie als Tagelöhner auf den Feldern der reichen Bauern. Dazu kommen noch eine Kuh oder zwei, deren Milch sie verkaufen können. Arbeit auf den Feldern gibt es nur ein paar Monate im Jahr, wenn der Reis gepflanzt und geerntet wird.

Aber in Abuhar gibt es neuerdings etwas, was selbst in gepflegten deutschen Großstädten noch einen Seltenheitswert hat: Solarlampen. Die haben sie sich die Bürger von Abuhar gewünscht und ihr Dorfchef hat sie bei den übergeordneten Behörden durchgesetzt. Möglich hat das ein milliardenschweres Arbeitsbeschaffungsprogramm der indischen Regierung gemacht. Das Programm garantiert den Ärmsten der Armen maximal einhundert Tage bezahlter Arbeit im Jahr. Was zunächst nach nicht viel klingt, ist in Wirklichkeit eine Verdoppelung der bezahlten Arbeitstage, denn die Feldarbeit liegt auch bei etwa drei Monaten pro Jahr.

Mehr Einkommen und mehr "öko"

Für UNEP ist das indische Programm ein Paradebeispiel dafür, dass Armutsbekämpfung und ein Umstieg auf eine nachhaltige grüne Wirtschaft Hand in Hand gehen können. 80 Prozent der 80 Milliarden Dollar der indischen ABM werden von den Menschen in Dörfern wie Abuhar in Projekte zum sparsamen Umgang mit Wasser, Bewässerungssysteme und die Agrarentwicklung investiert, heißt es in dem umfangreichen UNEP-Report. Das verbessere die Lebensqualität und schaffe Einkommen. Der im Februar zeitgleich in mehreren Metropolen auf allen Kontinenten vorgestellte Bericht ist eine Art Handbuch für Politiker und Entscheidungsträger zur Umstellung der Volkswirtschaften unserer Welt auf eine grüne Ökonomie.

Der Report, der als Handbuch für Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft gedacht ist, enthält vier Kernbotschaften: eine grüne Wirtschaft ist möglich, die Umstellung ist finanzierbar, nachhaltiges Wirtschaften schafft mittelfristig ein größeres Wachstum als ein "weiter so", und Armut kann abgebaut werden. "Wirtschaftswachstum, Sozialpolitik und Umweltbewusstsein können Hand in Hand gehen", sagt Anna Maria Stabrawa, eine der Autorinnen des Reports.

Ein "weiter so" würde teurer werden

Der Bericht macht aber keinen Hehl daraus, dass eine radikale Umstellung menschlichen Wirtschaftens schmerzhaft ist und sehr viel Geld kostet. Bis 2050 müssten zwei Prozent des weltweiten Sozialprodukts oder 1,3 Trilliarden US-Dollar investiert werden – pro Jahr! Aber mit einem eindrucksvollen Vergleich rückt Stabrawa die Proportionen ins rechte Lot. Für Haustiere würden die Menschen weltweit pro Jahr gut 400 Milliarden Dollar ausgeben, so die Expertin. Die Rettung die Welt würde also "nur" das Dreifache der Ausgaben für Tierfutter, Katzenklos und Hundesalons betragen. Zudem müssten die 1,3 Trilliarden nicht nur in neue Projekte gesteckt werden. Bereits geplante Vorhaben könne man nach grünen Kriterien nachjustieren.

Ein "weiter so" werde letztlich teurer, wie ein Beispiel aus Südostasien zeigt: zwei Prozent des Bruttosozialprodukts von Kambodscha, Indonesien, Vietnam und den Philippinen zusammen gehen alleine jährlich durch Erkrankungen verloren, die durch fehlende sanitäre Einrichtungen verursacht werden. Aber es gibt auch ermutigende Beispiele. "Der Übergang zur einer grünen Ökonomie hat schon begonnen", freut sich UNEP. Die Investitionen hätten 2010 Rekordhöhen erreicht. Vor allem in Brasilien, China und Indien werde bereits ein ansehnlicher Teil des Wachstums durch Investitionen in umweltverträgliche Projekte generiert. Diese Länder hätten die Bedrohung durch den Klimawandel erkannt und würden sehr viel schneller Investitionsmittel zur Reduzierung der Treibhausgase mobilisieren als die entwickelten Länder.

Volkswirtschaft der Armen

Die Landwirtschaft gehört neben großen Aufgaben wie der Entwicklung alternativer Energiequellen oder einer effektiven Abfallwirtschaft zu den "zehn Kernbereichen" der Investitionen in eine "Grüne Wirtschaft". Vor den Investitionen aber muss die Einsicht stehen, dass für einen radikalen Kurswechsel auch ein radikaler Wandel des Denkens notwendig ist. Dazu gehört die Einbeziehung der "Volkswirtschaft der Armen" in die wirtschaftlichen Kennzahlen der jeweiligen Länder. Das Bruttosozialprodukt der Armen basiert laut UNEP je nach Weltregion bis zu 90 Prozent auf dem, was Land, Wald und Wasser zum Leben bieten. Wer also in diese Bereiche investiert, so die UNEP, der kombiniert nachhaltige Nutzung der Natur mit der Schaffung von Arbeitsplätzen, Einkommen und Wirtschaftswachstum.

In Bangladesch zeigt ein Unternehmen, wie Armut und Energieverbrauch im ländlichen Bereich mit "innovativen Finanzierungs- und Geschäftsmodellen" reduziert werden kann, heißt es in dem UNEP-Report. Grameen Shakti, Weltmarktführer für erneuerbare Energielösungen im ländlichen Bereich, hat bis 2009 für arme Familien auf dem Land 320 000 "solare Heimsysteme" (SHS) installiert. Eine Million SHS sollen es bis 2015 werden.

Dazu liefert das Unternehmen effizientere Kochöfen und Biogasanlagen. Mit diesen über Mikrokredite der hauseigenen Grameen Bank finanzierten Technologien, werden gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen: der Verbrauch von Biomasse zur Feuerung der Kochöfen wird reduziert; die Rauchbelastung als eine wesentliche Ursache für Atemwegserkrankungen nimmt ab; die Biogasanlagen tragen zudem zu einer effektiveren Abfallwirtschaft bei. Gleichzeitig werden Menschen in den Dörfern ausgebildet, die Anlagen zu bauen und zu warten. Das schafft Arbeitsplätze.

"Green Economy" klingt eingänglich

Wirklich neu ist das alles nicht, wie selbst die Autoren des Berichts zugeben. Das Konzept der Nachhaltigkeit, so Stabrawa, gebe es seit dem Erdgipfel von Rio von 1992, ohne dass es nachhaltige Erfolge gezeitigt habe. Die Expertin glaubt einen Grund dafür zu kennen. Schonender Umgang mit der Umwelt und Wirtschaft seien bisher als wünschenswerte, aber leider unvereinbare Ziele wahrgenommen worden. Damit sich das ändert, habe UNEP dem Fundament für Rio+20 das Etikett "Green Economy" verpasst. "Das ist eingänglicher", findet Stabrawa.


Michael Lenz ist freier Korrespondent in Südostasien.