Wenn die Sprache klemmt: Nicht nur Könige stottern

Wenn die Sprache klemmt: Nicht nur Könige stottern
Im Oscar-preisgekrönten Film "The King's speech" begeistert Colin Firth zurzeit die Kinobesucher. Das Schicksal des stotternden britischen Königs Georg VI. weist auf ein weit verbreitetes Phänomen hin. In Deutschland sind rund 800.000 Menschen betroffen, viel mehr als gemeinhin angenommen.
01.03.2011
Von Karin Vorländer

"Sprich langsam, Junge." Stefan Meyer weiß nicht, wie oft er diesen Satz als Kind zu hören bekam. Er weiß nur: "Dieser Satz war fürchterlich." Genauso fürchterlich wie "Erst denken, dann sprechen". Genauso fürchterlich wie die Erfahrung, nicht ausreden zu dürfen, das Wort aus dem Mund genommen zu bekommen oder ausgelacht zu werden. Der heute 39-Jährige stottert seit Kindertagen.

Sprachheilpädagoge Gerrit Zipplies aus dem niedersächsischen Dissen erklärt seinen kleinen Patienten die verschiedenen Blockaden, die beim Sprechen auftreten können, so: "Es gibt 'Frösche', wenn die Wortteile hüpfend wiederholt werden, k-k-k-kalt. Es gibt 'Würmer', wenn der Wortanfang gedehnt wird, wwwarm, und es gibt 'Stecker', wenn es eine hörbare oder stumme Blockade gibt, ---lecker."

Ursache noch immer ungeklärt

Schon kleinen Kindern mit einem Sprachfehler sei bewusst, dass sie anders sprechen als andere. Deshalb sollten Eltern das Thema nicht tabuisieren, sondern Verständnis zeigen und trösten, rät Zipplies. Aber auch vor einer Überbetonung des Handicaps warnt der Sprachheilpädagoge. Die Arbeit mit den Eltern, in der sie lernen, eine entspannte Haltung zu finden, gehört für ihn deshalb unabdingbar zur Therapie.

Wenn die Sprache klemmt, dann helfen keine noch so gut gemeinten Ratschläge wie "Hol erst mal Luft" oder "Denk erst mal nach, was du sagen willst". Druck helfe genauso wenig wie Ursachenforschung, sagt Zipplies. Die Ursache für die Störung des Sprechflusses sei bis heute nicht geklärt. Klar sei lediglich, dass die Koordination der Sprechwerkzeuge nicht funktioniert und es wahrscheinlich eine genetische Komponente gibt. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen.

"Heilung gibt es nicht, wohl aber Linderung", wehrt Zipplies Hoffnung auf "Wunderheilmethoden" ab. Stottern ist aus seiner Sicht eine Erkrankung, die das ganze Leben bleibt, auch wenn Therapie und Training in manchen Fällen dafür sorgen, dass Außenstehende fast nichts davon hören. Stottern ist eine anerkannte Behinderung. Eltern können etwa im Rahmen eines Nachteilsausgleichs einfordern, dass die Sprechbehinderung bei der Benotung mündlicher Leistungen und der Gestaltung von mündlichen Prüfungen berücksichtigt wird.

"Sprich langsam, Junge"

Für Stefan Meyer sind Angebote, die mittels Hypnose, Akupunktur oder besonderem Zwerchfelltraining Heilung versprechen, beinahe so schlimm wie die Ermahnung "Sprich langsam, Junge" aus Kindertagen. "Wenn das Stottern eben doch nicht endgültig abgeschafft ist, gibt es enttäuschte Hoffnung, hohe Kosten und den Vorwurf: Du hast eben nicht genug geübt." Lieber schweigen als stottern, lautete sein Entschluss als Schüler.

Auch Ilka Scheele, die genau wie Meyer Mitglied einer Selbsthilfegruppe in Bielefeld ist, denkt mit Schrecken an ihre Schulzeit. Nur mit Mühe konnte ihre Mutter ihre Einschulung an einer Regelschule durchsetzen. "Die Mitschüler haben mir das Leben zur Hölle gemacht, meine erste Klassenlehrerin auf dem Gymnasium kam nicht damit klar", erinnert sich die 34-jährige Schriftsetzerin. Im Rückblick wünscht sie sich, die Lehrer hätten ihr Stottern nicht einfach übergangen, sondern bei mündlichen Prüfungen für sie eine Sonderregelung gefunden.

[listbox:title=Mehr im Netz[Internetauftritt der Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe]]

Genau wie bei Meyer ist Scheeles Stottern bis heute unüberhörbar. Therapien brachten zwar Besserung, aber keine Heilung. Die Wende kam, als sie gute Freundinnen und später ihren heutigen Mann kennenlernte. Diese Erfahrungen ließen sie heute sagen: "Ich pfeife auf die Leute." Auch dass sie ihren Wunschberuf erlernte, gehört zu ihren positiven Erfahrungen.

Bei Meyer trat eine Wende ein, als er eine Sprechtherapie als junger Vater begann. "Ich wollte meiner Tochter vorlesen können." Da begriff er: "Mein Stottern stört die Leute gar nicht so sehr, wie ich dachte." Wenn er heute als Verkehrsplaner verhandeln und telefonieren muss, dann ist sein Stottern zu hören. Aber die Angst vorm Sprechen habe er verloren.

epd