Filmkritik der Woche: "Unknown Identity"

Filmkritik der Woche: "Unknown Identity"
Wer bin ich und wenn ja wie viele? Liam Neeson muss im winterlichen Berlin um seine Identität und sein Leben kämpfen. Ein Paranoiathriller mit vielen bekannten Elementen und feiner Ironie.
01.03.2011
Von Patrick Seyboth

Eine "umgekehrte Amnesie" nennt Regisseur Jaume Collet-Serra das Thema seines Films: Der amerikanische Wissenschaftler Dr. Martin Harris reist mit seiner Frau nach Berlin zu einem Kongress. Er wird in einen schweren Unfall verwickelt, liegt mehrere Tage im Koma. Doch der wahre Alptraum beginnt nach dem Erwachen: Niemand erkennt ihn oder erinnert sich an ihn, nicht einmal seine Frau. Ein Anderer lebt an seiner Stelle, trägt seinen Namen. Und dann will man dem daran fast irre werdenden Mann auch den kümmerlichen Rest von Leben nehmen. Nur eine schöne Unbekannte (Diane Krüger) hilft ihm, im Labyrinth der fremden Stadt eine Antwort zu finden.

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Das klingt wie ein Cocktail aus Polanskis "Frantic" und verschiedenen Hitchcock-Werken. Jaume Collet-Serra ("House of Wax", "Orphan – Das Waisenkind") bedient sich für "Unknown Identity" in der Tat sehr freimütig bei großen Vorbildern. In seiner Verfilmung eines Romans von Didier van Cauwelaert erlebt man auf Schritt und Tritt Déjà-vus. Und nicht nur das: Manche Elemente sind durch vehemente Zuspitzung und Verkürzung geradezu trashig geraten. Aber dem geneigten Liebhaber jener Sorte von Thrillern, in denen nichts ist, wie es scheint, kann der Film enormes Vergnügen bereiten. Er ist geradlinig inszeniert, bietet mitreißende Action und birgt manche Überraschung.

Auch das komische Potenzial seiner Paranoia reizt er aus, ohne Schrecken und Tragik derselben zu schmälern. Das Aufeinandertreffen Liam Neesons mit seinem Alter Ego Aidan Quinn etwa wird zum absurden Theater, wenn alle beide sich entgeistert die Frage "Wer zum Teufel sind Sie eigentlich?" an den Kopf werfen. Viele weitere Spiegelungen und Echos führen die Identitätsfrage in dekonstruktivistische Abgründe. Sind wir nicht alle ein bisschen wie dieser Dr. Martin Harris? Und müssen uns manchmal fragen, wer wir wirklich sind, was uns definiert? Unsere Erinnerung, unsere Lebensgeschichte? Die anderen, die uns kennen oder zu kennen glauben? Ein amtliches Stück Plastik? "Unknown Identity" jongliert virtuos mit diesen Faktoren.

Die eigentliche Hauptrolle spielt das winterliche Berlin

Allerdings muss man auch über ein paar Ungereimtheiten hinweg sehen, sich auf die Ironie dieses Spiels einlassen und Freude daran finden, dass deutsche Krankenschwestern Gretchen heißen und ein tödlich Verwundeter unbedingt noch eine Lebensweisheit wie "Unsere Erinnerung ist alles, was wir haben" äußert – die letzten Worte von Bruno Ganz als ehemaliger und immer noch überzeugter Stasi-Agent. Er gehört übrigens zu den Guten in diesem Film. In illustren Nebenrollen sind eine ganze Reihe an deutschsprachigen Schauspielern zu sehen, darunter Diane Kruger als illegale, also auf andere Weise identitätslose Taxifahrerin, Stipe Erceg als Killer, Sebastian Koch als Wissenschaftler und Eva Löbau als besagte Gretchen.

Die eigentliche Hauptrolle aber spielt das winterliche Berlin, das von der Oberbaumbrücke über Kreuzberg bis zur Neuen Nationalgalerie und dem Hotel Adlon zum Schauplatz für Investigationen, Verfolgungsjagden und Mordanschläge wird. Fast so reizvoll wie die Phantasie-DDR in Hitchcocks "Der zerrissene Vorhang" schillert die Hauptstadt im Blick dieses Films zwischen Realismus und Künstlichkeit, historischer Aura und Kulissencharme – als wäre auch ihre Identität zur Disposition gestellt.

Deutschland/Großbritannien/Frankreich 2010. Regie: Jaume Collet-Serra. Buch: Oliver Butcher, Stephen Cornwell. Mit Liam Neeson, Diane Kruger, January Jones, Aidan Quinn, Bruno Ganz, Sebastian Koch, Frank Langella. 113 Min

epd