Pflege braucht Geld und Fachkräfte

Pflege braucht Geld und Fachkräfte
Die Pflegesituation für Kranke, Behinderte und Alte in Deutschland wird immer düsterer, denn es fehlt an Personal. Der Berufszweig ist für junge Menschen offenbar unattraktiv, die Arbeitsbelastung hoch. Bei einer Diskussion in Berlin ging es am Mittwoch um Finanzierungsfragen und Berufsbilder.
25.02.2011
Von Thomas Klatt

Nach dem letztjährigen Pflegethermometer sind rund 90% der Schwestern und Pfleger mit ihrer Bezahlung unzufrieden. Viele leiden an einer Verdichtung und Bürokratisierung der Arbeit, die zu einer vermehrten Sinnentleerung führen. Der für die Zuwendung notwendige soziale Kontakt mit den Patienten findet immer seltener statt.

Auch gibt es aufgrund der hohen Belastung und zusätzlicher Dienste immer weniger Zeit für die eigene Familie. Ergebnis ist nicht selten ein dauerhaftes Burn Out. Die Fluktuation der Pflegekräfte ist besonders hoch. Gut ausgebildete examinierte Schwestern und Pfleger schmeißen nicht selten schon nach wenigen Berufsjahren das Handtuch. Lukrative Arbeitsverhältnisse sind rar. Zwischen 1986 und 2008 wurden etwa 50.000 Pflegekräftestellen in deutschen Krankenhäusern abgebaut, im gleichen Zeitraum allerdings Ärztestellen um 20.000 ausgebaut.

Offensichtlich gibt es eine Ungleichbehandlung im Medizinbetrieb zwischen akademischen und einfachen Lehrberufen. Wie könnte also die Anziehungskraft der Pflegeberufe gerade für junge Menschen wieder erhöht werden? Eine Podiumsdiskussion des Diakonischen Werkes der EKD versuchte jetzt in Berlin darauf Antworten zu finden, doch seitens der Politik bleiben die Konzepte und Ideen vage.

Skandale sind wenig attraktiv

"Da geht es um die Frage, wie wird Pflege öffentlich wahrgenommen? In der Regel hören wir immer von einer Skandalisierung. Für junge Menschen scheint das dann wenig attraktiv", warnt Christian Berringer, Referent im Bundesgesundheitsministerium. Daher hätte das Ministerium schon eine Reihe von Pflegedialogveranstaltungen angestoßen, um für diesen Beruf zu werben. Eine Möglichkeit zur Steigerung der Attraktivität wäre zum Beispiel, die Ausbildung in der Kranken- und Altenpflege zu koppeln, um sich so anschließend in mehreren Arbeitsfeldern bewerben zu können.

Auch die Berechnungen und Kategorisierungen der Pflegestufen stünden zur Diskussion. Aber mit einem kostenneutralen Modell lasse sich kaum eine Reform durchführen. "Pflegeskandale werden schnell publik, aber von einer Beitragserhöhung wollten die meisten Bürger nichts hören", weiß Berringer.

Die Frage ist auch, woher die neuen Pflegekräfte kommen sollen. Der künftige Bedarf ist immens und die Zeit drängt. Schon heute brauchen rund 2,2 Millionen Menschen in Deutschland tägliche Pflege und Betreuung. Bis zum Jahr 2030 dürfte die Zahl der Pflegebedürftigen auf weit über 3,3 Millionen steigen. "Schon heute haben wir schätzungsweise 100.000 bis 150.000 illegal arbeitende Frauen aus Osteuropa in der Pflege. Da besteht Regelbedarf. Einfache Lösungen gibt es nicht. Wir können jetzt auch nicht einfach alle Arbeitslosen in die Heime und Krankenhäuser schicken", warnt Berringer.

Was kommt nach dem Zivildienst?

Anja Ludwig ist gelernte Pflegerin. Heute arbeitet sie im Bundestag für Bündnis 90/die Grünen als Fachfrau in Sachen Gesundheit und Pflege. Für sie sind die Aussagen aus dem FDP-geleiteten Bundesgesundheitsministerium nicht mehr als "lauwarme Luft". Sie vermisst konkrete neue Finanzierungs- oder Ausbildungsmodelle. Sie hatte gehofft, dass das Familienpflegemodell der Familienministerin Schröder eingeführt wird und nicht nur ein freiwilliger Appell an die Unternehmen.

"Wir hatten schon mit einer Finanzierung für die private Pflege von Angehörigen von drei Monaten gerechnet", sagt Ludwig. Pflege müsse von den typischen Frauenberufen abgekoppelt werden. Es brauche bessere Mitbestimmungs- und Karrieremöglichkeiten. Völlig ungeklärt sei, was nach dem Auslaufen des Zivildienstes geschehen soll. Der neue Bundesfreiwilligendienst könne die künftigen Lücken in der Betreuung alter und kranker Menschen kaum schließen. Es brauche mehr Phantasie in der Entwicklung neuer Arbeitsplatzmodelle, etwa durch die Pflege in kleineren Wohneinheiten, sagt Ludwig.

"Wir sind als Grüne für eine Bürgerversicherung, damit die Pflege alter Menschen finanziell abgesichert wird", sagt Ludwig. Aber das bedeute eben auch größere finanzielle Belastungen für jeden Bürger und Steuerzahler. Die grüne Opposition ist aber anders als Berringer gegen einen generalistischen Ausbildungsansatz. "Man kann nicht einfach Kinderkrankenpflege, Krankenpflege und Altenpflege abschaffen. Wir brauchen weiterhin die Spezialisierung der Berufe. Allerdings ist denkbar, dass es zuerst eine Basisausbildung gibt. Danach kann man sich weiterbilden, etwa in Richtung Demenz oder spiritual care", schlägt die grüne Pflegefachfrau Ludwig vor.

"Wir wollen ja ordentlich bezahlen..."

Auch der deutsche Pflegerat ist nicht für eine Akademisierung der Pflege. Aus den USA gebe es da keine guten Erfahrungen. "Jeder und jede sollte in die Altenpflege gehen können", meint Ludwig.
Derweil drängen die kirchlichen Einrichtungen auf eine schnelle politische Lösung. "Das ist alles sehr konzeptlos! Wer soll Interesse an einem Bachelor in Altenpflege haben", wirft etwa Bodo de Vries vom Evangelischen Johanneswerk ein und beklagt die allgemeine politische Ideen- und Phantasielosigkeit angesichts der drohenden Pflegekatastrophe in Deutschland.

"Das sind Absichtserklärungen, die wir alle schon kennen. Es ist nichts neues. Es geht letztlich um eine solide finanzielle Unterfütterung der Pflege", sagt Ruth Moser-Weikert von der Johanniter Seniorenhäuser GmbH in Stuttgart. Die Pflegesatzverhandlungen müssten mit einem tarifgerechten Lohn gekoppelt werden. "Wir wollen ja ordentlich bezahlen, aber dann muss auch genügend im Topf sein, bemessen am Pflegebedarf. Das darf nicht dem Zufall überlassen bleiben", fordert Moser-Weikert.

"Wir sind in der Falle der Föderalismussituation. Wir wünschen uns klare Reformen und bundeseinheitliche Regelungen zugunsten der Betroffenen", sagt auch Renate Gamp, Vorstandsvorsitzende des Deutschen Evangelischen Verbandes für Altenarbeit und Pflege, DEVAP. Rund 2000 Einrichtungen der Altenpflege und etwa 1000 Diakoniestationen sind in diesem Diakonie-Fachverband organisiert. Von kirchlichen Trägern aus scheint es also reichlich Druck auf die Politik zu geben, endlich eine Lösung für die prekäre Pflegesituation zu finden. Nur die Parteien scheinen diesem Thema immer noch keine erste Priorität einräumen zu wollen.


Thomas Klatt ist freier Journalist in Berlin.