Tsunamis und Beben: Wendet sich die Erde gegen uns?

Tsunamis und Beben: Wendet sich die Erde gegen uns?
Ein massives Erdbeben hat Japan nicht nur erschüttert, sondern auch mit Wassermassen überschüttet. Was das Beben und der Tsunami wirklich angerichtet haben, ist noch nicht absehbar. Es ist die jüngste in einer Reihe von verheerenden Naturkatastrophen: New Orleans wurde durch den Orkan Katrina verwüstet, Pakistan und Australien standen unter Wasser, in Haiti und Neuseeland bebte die Erde. All das passierte in den letzten Jahren und Monaten. Was mag das bedeuten? Schlägt die Erde zurück?
24.02.2011
Von Thomas Paterjey

"Und es geschahen Blitze und Stimmen und Donner, und es geschah ein großes Erdbeben, wie es noch nicht gewesen ist, seit Menschen auf Erden sind – ein solches Erdbeben, so groß. Und aus der großen Stadt wurden drei Teile, und die Städte der Heiden stürzten ein. Und Babylon, der großen, wurde gedacht vor Gott, dass ihr gegeben werde der Kelch mit dem Wein seines grimmigen Zorns. Und alle Inseln verschwanden, und die Berge wurden nicht mehr gefunden. Und ein großer Hagel wie Zentnergewichte fiel vom Himmel auf die Menschen; und die Menschen lästerten Gott wegen der Plage des Hagels; denn diese Plage ist sehr groß." (Offenbarung des Johannes 16,18-21)

Die Erde bebt, die Blitze zucken, Stürme und Fluten verwüsten die Erde – in diesen Bildern wird der Weltuntergang, die Apokalypse, beschrieben. Nicht nur in der biblischen Offenbarung des Johannes, auch das moderne Hollywood-Kino nimmt sich des Themas immer wieder neu an. Da werden Mythen und Sagen verfilmt. Auch aus der Perspektive der indianischen Kultur der Maja soll 2012 das Ende der Erde kommen. Zeit also, sich zu fragen, ob das Zeitenende wirklich nahe ist. Stimmt es, dass sich in den letzten Jahren Naturkatastrophen häufen? Sind wirklich immer mehr Menschen davon betroffen? Oder kommt uns das nur so vor? Wehrt sich die Erde gegen die Bewohner, die Raubbau an den Ressourcen betreiben? Eine Spurensuche.

"Katastrophe ist eine menschliche Kategorie"

Es wäre zu pauschal zu sagen, die Naturkatastrophen werden mehr. "Wir müssen die verschiedenen Ereignisse von einander unterscheiden", sagt Prof. Bernhard Stribrny, Geowissenschaftler vom Frankfurter Senckenberg-Institut und Leiter der Transferstelle am "LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum" (BiK-F) in Frankfurt am Main. Zum einen gibt es extraterrestrisch verursachte Katastrophen, also Meteoriteneinschläge. Tendenziell dürften sie die verheerendste Form sein. Dazu kommen endogene Ereignisse wie Erd- und Seebeben, möglicherweise einhergehend mit Tsunamis. Als drittes kommen endogene Veränderungen hinzu, so etwa Veränderungen des Wetters und Klimas. Schließlich sind noch ausschließlich von Menschen gemachte Katastrophen zu nennen.

"Eine Katastrophe ist eine menschliche Kategorie", meint Stribrny. Bei einem Erdbeben gehe die Gefahr für den Menschen in der Regel vom Gebäude aus – und nicht vom Beben an sich: "Auf dem freien Feld könnten Sie ein Beben der Stärke Neun erleben. Das würde Sie ein bisschen durchschütteln, aber ansonsten passiert Ihnen nichts." In der Stadt hingegen könnte das Haus über den Menschen zusammenstürzen. In der Erdgeschichte gab es immer wieder Zeiten, zu denen sich die Erdkruste stärker bewegt hat – und es gab auch ruhigere Zeiten. "Generell sind Erdbeben durch den Menschen zu weit über 99 Prozent nicht beeinflussbar." Die Erdplatten bewegen sich eben.

Über all die Jahrtausende schieben sich Kontinente untereinander oder brechen auseinander. Spannungen bilden sich, stauen sich, entladen sich. Das ist vollkommen natürlich. Lediglich leichte Erdstöße werden durch den Menschen verursacht, beispielsweise durch tiefe Bohrungen und hydraulische Druckbeanspruchung des Untergrundes für die Erdwärmegewinnung, durch weiträumigen Bergbau untertage oder durch die Förderung großer Mengen von Erdöl oder Erdgas.

Ähnlich verhält es sich mit Seebeben: Eine Flutwelle, also ein Tsunami, entsteht immer dann, wenn es zu einem Vertikalversatz in der Erdkruste kommt, erklärt Stribrny. "Bei dem Beben vor Sumatra im Jahr 2005 hat der Höhensprung bis zu zehn Meter betragen." Die Menschen an den Küsten sind diesen Naturgewalten dann oftmals schutzlos ausgeliefert. Höhenneutrale Beben, ausgelöst durch Vertikalverschiebungen in der Erdkruste, verursachen keinen Tsunami. In diesem Falle gibt es keinerlei Auswirkungen für die Menschen an der Küste, sie bekommen das Beben im Ozean oft gar nicht mit.

Nicht mehr Erdbeben, aber mehr Unwetter

Ein Blick in die Statistik zeigt, dass die Erdbebenereignisse nicht mehr geworden sind, sagt der Wissenschaftler. Wohl aber die wetterbedingten Extremereignisse. Die Ursachen dafür können durchaus von der Menschheit mit beeinflusst werden. Es gibt erst seit rund 160 Jahren Wetteraufzeichnungen. Jedoch könne man sehen, dass in dieser Zeit die globale Durchschnittstemperatur angestiegen sei, sagt Stribrny. Das führt zur Debatte über den Klimawandel. Es wird teilweise immer noch diskutiert, ob es ihn gibt – oder eben nicht.

Doch was ist das eigentlich? Klima? "Klima ist per Definition eine statistische Zahl, welche die Wetterverhältnisse an einem Ort gemittelt über einen Zeitraum von 30 Jahren beschreibt", erläutert Stribrny. Die Veränderung des Klimas habe unterschiedliche Auswirkungen: Klimamodelle zeigen zum Beispiel in bis zum Jahre 2050 den nördlicheren Breiten stärkere Veränderungen als in der Antarktis.

"Die natürlichen Emissionen aus Vulkanen, den Böden und der belebten Welt betragen etwa 550 Gigatonnen CO2 pro Jahr. Hinzu kommen 32 Gigatonnen Kohlendioxid, die im Wesentlichen durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas pro Jahr durch den Menschen in die Atmosphäre gelangen", sagt der Frankfurter Wissenschaftler. Im Gegensatz zum natürlich entstandenen Kohlendioxid sei das durch menschliche Emissionen freigesetzte Gas jedoch nicht mit Senken gekoppelt.

Die durch den Menschen verursachten Treibhausgasemissionen verstärken den natürlichen Treibhauseffekt der Atmosphäre. Die Erde strahlt dadurch weniger Sonnenenergie in den Weltraum ab und die globale Durchschnittstemperatur steigt. "Es kommt mehr Dynamik ins System", sagt Stribrny. Diese Dynamik lässt sich als Vergleich in einem Kochtopf voll Wasser beobachten: "Im Gegensatz zu einem Topf voll kaltem Wasser sehen Sie bei 70 Grad Celsius Turbulenzen und Schlieren im Wasser, eben eine höhere Dynamik." Eine Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur führt in vielen Regionen zu steigenden Verdunstungsraten, verstärkten Niederschlagsereignissen und auch zu mehr Wind und Sturm.

Mehr Menschen und Werte betroffen

Die Weltbevölkerung steigt. Bis 2015 werden acht, bis 2050 werden bis zu 9,5 Milliarden Menschen auf der Erde leben, sagen Schätzungen der Vereinten Nationen und der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung. Immer mehr Menschen werden folglich von Naturereignissen betroffen sein. Und nicht nur die wachsende Zahl der Personen ist ein Grund, sondern auch die Wahl der Orte, wo sie siedeln, sagt Stribrny: "Es gibt zum einen die boomende Zentren, auf der anderen Seite ziehen immer Menschen aus ohnehin schon dünn besiedelten Regionen weg." Das sei im globalen Maßstab ähnlich wie in Deutschland, wo immer mehr Menschen Mecklenburg-Vorpommern verlassen und zum Beispiel in das Rhein-Main-Gebeit ziehen, vergleicht Stribrny.

Weltweit wachsen die Megacitys – jedoch oftmals in Erdbebeben und Überschwemmungsgebieten. Ein Ausbruch des Vulkans Vesuv würde heute drei bis vier Millionen Menschen bedrohen und gignatische Zerstörungen verursachen. Der Mensch siedelt jedoch nicht selten in der unmittelbaren Nähe von aktiven Vulkanen, weil unter anderem die Vulkanasche fruchtbare Böden erzeugt und gute Ernteerträge verspricht. Und in modernen Städten gibt es auch viel Wirtschaftswachstum und Werte.

[listbox:title=Mehr im Netz[Studie der Versicherung "Munich Re" zu Naturkatastrophen 2010]]

Das hat auch die Münchner Rückversicherung beobachtet. Die Schäden durch Naturereignisse haben dort im Jahr 2010 abermals zugenommen. Das liegt zum einen daran, dass die Zahl versicherter Werte gestiegen ist, sagt Munich Re-Sprecher Gerd Henghuber. Aber zum anderen auch daran, dass diese an exponierter Stelle stehen - in gefährdeten Gebieten. Neun von zehn Schadensfällen sind durch wetterbedingte Katastrophen verursacht. Geophysikalische Schäden haben stattdessen keine auffälligen Steigerungsraten.

Stribrny gibt jedoch zu Bedenken, dass durch den Klimawandel indirekt auch zu einer Steigerung von geologischen Ereignissen kommen wird: Häufigerer punktueller Starkregen kann gehäuft zu Erdrutschen führen – wie etwa in Südamerika, wenn Regenwald abgeholzt wurde und Häuser ohne Rücksicht auf die natürlichen Gegebenheiten zum Beispiel an rutschungefährdeten Hängen gebaut wurden. Die Auswirkungen des Temperaturanstiegs werden in den urbanen Zentren von Wärme- und Hitzeinseln vermutlich verstärkt. Ebenso wird es zu vermehrten Felsstürzen kommen, wenn zum Beispiel in den Alpen die Gletscher und der Permafrost zurückgehen. "Klimabedingt sind in den Hochgebirgsregionen mehr Massenbewegungen zu erwarten", sagt Stribrny.

Anlass für Weltuntergangsszenarien?

Ist der Eindruck also gerechtfertigt, dass die Erde auf die "Last" des Menschen reagiert? Wohl zu dem Teil, dass der Mensch durch Treibhausgase das Klima verändert. Die nicht minder vernichtenden geologischen Prozesse wie Beben und Vulkanausbrüche ändern sich dadurch aber nicht, von Meteoriten-Einschlägen ganz zu schweigen. Diese passieren, wenn sie passieren. In der Erdgeschichte habe es fünf große Auslöschungsereignisse gegeben, erläutert Stribrny, bis zu 80 Prozent des Lebens sei jeweils ausgelöscht worden: "Aber nie ist alles abgestorben."

Vor allem die Tiere im Meer haben stets gute Chancen gehabt, da sie durch das Wasser geschützt erleben. Temperaturschwankungen machen sich dort weniger stark bemerkbar, in der Tiefsee ist es ohnehin kühl und dunkel. "Es ist jedoch immer etwas neues entstanden", bilanziert der Geowissenschaftler. "Auf die Saurier folgten die Säugetiere."

Die Erde schlägt also nicht zurück, sie tut einfach, was sie seit Millionen von Jahren tut: Sich gelegentlich schütteln. Der Mensch muss mit den Folgen leben. In Hollywood-Spielfilmen wie "2012" gibt es dabei am Ende immer ein Happy End: zumindest einige überleben. Johannes sieht am Ende seiner Apokalypse einen neuen Himmel und eine neue Erde. Offen bleibt noch die Frage, ob auf dieser neuen Welt Erdbeben auch wieder unabänderlich zur Natur gehören werden. Ja, meint Naturwissenschaftler Stribrny: "Erdbeben wird es immer geben."


Thomas Paterjey ist freier Journalist in Frankfurt und Hannover.