Prozess in Frankfurt: War es wirklich Völkermord?

Prozess in Frankfurt: War es wirklich Völkermord?
Vor dem Frankfurter Oberlandesgericht ist Onesphore R. angeklagt, ein Ex-Bürgermeister aus Ruanda. Er soll im April 1994 drei Massaker an den Tutsi befehligt haben. In dem Prozess wird versucht zu klären, ob es sich um "Völkermord" haldelt - und ob man dazu überhaupt den Befehl geben kann.
21.02.2011
Von Elvira Treffinger

Zwei Stapel Bücher liegen vor Gerd Hankel auf dem Tisch. Mit einem Beamer wirft der Völkerrechtler eine Karte von Ruanda auf eine Leinwand. Pfeile markieren das Bürgerkriegsgeschehen Anfang der 90er Jahre in Ruanda. Ein Richter bittet den Gutachter: "Können Sie mal zeigen, wo Muvumba liegt?" Geschichts- und Geografieunterricht im Gerichtssaal: Das Frankfurter Oberlandesgericht geht im Völkermord-Prozess gegen einen Ex-Bürgermeister aus Ruanda ungewöhnliche Wege.

Die Verbrechen, um die es geht, liegen 17 Jahre zurück und geschahen Tausende Kilometer von Deutschland entfernt, im Osten Zentralafrikas. Der Tiefbautechniker Onesphore R., Ex-Bürgermeister von Muvumba und seit 2002 in Deutschland, ist des Völkermords angeklagt. Er soll im April 1994 drei Massaker an der Tutsi-Minderheit befehligt haben, bei denen mindestens 3.732 Menschen getötet wurden.

Völkermord ist nach dem Weltrechtsprinzip überall strafbar, egal wo er verübt wurde. Eine Auslieferung des Angeklagten nach Ruanda kam wegen Zweifeln an der dortigen Justiz nicht in Betracht. Der 53-jährige Hutu steht seit 18. Januar in Frankfurt vor Gericht. Am Dienstag wird weiter verhandelt. Bevor Zeugen auftreten, wurde eine historische Einordnung versucht.

"Den Völkermordbefehl gibt es nicht"

War es wirklich Völkermord an den Tutsi, was 1994 in Ruanda geschah? Einige wenige Ruanda-Experten bestreiten dies und sprechen - wie die Drahtzieher selbst, die Hutu-Extremisten - von spontaner Rache, ausgelöst durch den Abschuss des Flugzeugs von Präsident Juvénal Habyarimana, einem Hutu, am 6. April. Bis heute ist unklar, wer hinter dem Abschuss steckt.

"Den Völkermordbefehl gibt es nicht", sagt Hankel, der sich seit 2002 mit Ruanda befasst und Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung ist. Gleichwohl seien die meisten Historiker überzeugt, dass es Völkermord war. Zwischen April und Juli 1994 seien drei Viertel der etwa eine Million Tutsi in Ruanda ermordet worden, ebenso oppositionelle Hutu-Politiker.

Hankel sagt, ohne die Mitwirkung der Bevölkerung, mit Hacken und Macheten, hätte das Töten nie diese Dimension annehmen können. Hutu-Extremisten hätten jahrelang Hass gegen die Tutsi gepredigt und Milizen aufgebaut. Eine halbe Stunde nach Abschuss des Flugzeugs habe das staatlich organisierte Morden begonnen. Den Bürgermeistern kam laut Hankel eine zentrale Rolle zu. Sie waren direkt vom Staatspräsidenten ernannt.

Gründliche Wahrheitsfindung

Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel will gründlich vorgehen, spricht von Offenheit in alle Richtungen. "Das ist unsere vornehmste Pflicht." Ob und wie der Völkermord geplant war, auch darüber streiten Juristen. Von der Verteidigung vorgeschlagen, wird als Co-Gutachter dann doch Helmut Strizek abgelehnt, weil er enge Kontakte zum Angeklagten hat.

Strizek macht den heutigen Staatspräsidenten Paul Kagame und seine Tutsi-Armee für den Völkermord verantwortlich. Kagame war 1990 mit Truppen aus dem ugandischen Exil in Ruanda einmarschiert. Strizeks Vorwurf: Kagame habe den Völkermord provoziert und nichts zum Schutz der Tutsi unternommen. Zudem habe auch Kagames Armee Kriegsverbrechen begangen, die tabu seien.

Wird hier versucht, Opfer zu Tätern zu machen? Der Vorsitzende Richter Sagebiel will trotz aller Polemik bei der Wahrheitsfindung gründlich vorgehen. Es ist schwer, Politik außen vor zu lassen. Den Anwalt Dieter Magsam, der den Überlebenden eines Massakers als Nebenkläger vertritt, treibt die Sorge um, dass das negative Bild vom Kagame-Regime den Blick auf die Leiden der Opfer von 1994 verstellen könnte.

Zeugen könnten beeinflusst werden

Die Richter sammeln weiter Informationen, verlesen Zeitungsartikel über die Inhaftierung von Journalisten und Oppositionellen in Ruanda, befragen Hankel zur Situation. "Kagame ist der starke Mann im Land", sagt der Gutachter: ein Mann des Geheimdienstes, mit 93 Prozent der Stimmen im vergangenen Jahr wiedergewählt.

Kann das Regime Zeugen beeinflussen? Die Zweifel gehen so weit, dass ein Afrikaner im Zuschauerraum gefragt wird, ob er mit der ruandischen Botschaft in Kontakt steht. Er verneint, doch das Mitschreiben wird ihm untersagt. Am nächsten Tag erklärt Richter Sagebiel, dass auch die Berichte der Marburger Studenten, die den Prozess beobachten, im Internet zu detailliert seien. Zeugen könnten daraus zu viel erfahren. 

epd