"Geh und lebe", 24. Februar, 20.15 Uhr auf Arte
Was für eine Ironie des Schicksals: Eine Lüge, die vierzig Jahre zuvor den sicheren Tod bedeutet hätte, rettet vielen jungen Schwarzafrikanern Mitte der Achtzigerjahre das Leben. In einer spektakulären Aktion, der längst in Vergessenheit geratenen "Operation Moses", überführten Israel und die USA im Winter 1984/85 achttausend äthiopische Juden nach Israel. Doch in den Sammellagern waren auch noch andere Flüchtlinge; einer von ihnen ist der Held dieses Films von Radu Mihaileanu, der vor Jahren durch seinen formidablen Film "Zug des Lebens" bekannt geworden ist. Später wird er den Namen Schlomo bekommen, und Jahrzehnte lang wird er sein Geheimnis hüten wie einen Schatz: Schlomo ist gar kein Jude.
"Geh, lebe und werde!"
Natürlich hätte Mihaileanu seine Geschichte auch ohne diesen dramaturgischen Kniff erzählen können. Doch auf diese Weise bekommen die Diskriminierungen, die Schlomo als Schwarzer in Israel erlebt, eine zusätzliche Dimension. Seine Mutter hatte ihn damals einer Jüdin anvertraut, deren eigener Sohn gestorben war. "Geh, lebe und werde!", gibt sie ihm mit auf den Weg. Als seine zweite Mutter nach der Einbürgerung stirbt, wird der kleine Junge adoptiert. Seine neuen Eltern kümmern sich aufopferungsvoll um ihn, doch schon bald erlebt er die ersten Herabsetzungen.
Dem jungen Schlomo widmet Mihaileanu den größten Teil des Films "Geh und lebe". Jugend und erste Liebe handelt er fast ein wenig zu beiläufig ab; andererseits ist schon allein jene Szene, in der ihm der Vater seiner (selbstredend weißen) Klassenkameradin Sarah den Besuch ihrer Geburtstagsfeier verwehrt, beredt genug. Mit dem erwachsenen Schlomo beschäftigt sich Mihaileanu dann wieder um so ausführlicher. Er liebt Sarah immer noch, streitet sich jedoch immer öfter mit seinem Vater, der ihn zur Armee schicken will, und studiert in Paris Medizin. Nach seiner Rückkehr heiratet Sarah endlich, traut sich aber immer noch nicht, ihr die Wahrheit zu sagen. Das gelingt ihm erst, als sie ein Kind bekommen, und prompt setzt sie ihn vor die Tür: nicht, weil er kein Jude ist, sondern weil er ihr zehn Jahre lang nicht vertraut hat.
Nun wird der Film auch seinem Originaltitel ("Va, vis et deviens") gerecht: "Geh, lebe und werde" bezieht sich auf die drei Lebensabschnitte, doch erst im dritten erfüllt sich seine Bestimmung. Für Mihaileanu ist Schlomos Geschichte daher eine Parabel für den ständigen Kampf des Menschen mit sich selbst, "um sich zu überwinden und aus dem Panzer auszubrechen, der ihn umgibt".
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).