Wie kam es zu diesem Ad-hoc-Programm?
Irit Neidhardt: In den Tagen der ägyptischen Revolution, als Polizisten und vom Regime bezahlte Schläger versuchten, mit Gewalt die Demonstranten vom Tahrir-Platz in Kairo zu vertreiben, wandten sich ägyptische Filmemacher an ihre Kollegen in Berlin mit der Bitte um Solidarität. Kurz vor der Berlinale schlugen sie vor, schnell ein Programm mit Werken ägyptischer Regisseure zu organisieren, die Teil der Demokratie-Bewegung sind. Obwohl das Berlinale-Programm bereits gedruckt und die Säle belegt waren, fragte ich bei der Forum-Sektion der Berlinale nach. Binnen weniger Stunden reagierte sie positiv auf die Anfrage.
Welche Themen behandeln die unabhängigen ägyptischen Regisseure?
Neidhardt: Das ägyptische unabhängige Kino wird nicht - wie in anderen Ländern - über die Themen definiert, sondern vor allem über die Produktionsweise, die aus der Not heraus entstanden ist. Die beiden Regisseure, die außerhalb der staatlich kontrollierten Strukturen ihre Filme ins Kino gebracht haben, Ibrahim El Batout und Achmad Abdallah, jeder von ihnen mit zwei Spielfilmen, haben nicht Film studiert. Daher konnte sie nicht Mitglieder im Filmverband werden. Man muss aber Mitglied in diesem Verband sein, um eine Genehmigung für das Drehbuch zusätzlich zu der der Zensur zu bekommen. Erst dann kann man eine Drehgenehmigung bei der Polizei beantragen.
Wie konnte Batout dennoch seine Filme in Ägypten drehen und sogar zeigen?
Neidhardt: Er und Abdallah haben einfach ohne Genehmigung gedreht. Jedes autoritäre System betreibt eine Angstpolitik. Wenn es undenkbar ist, Filme außerhalb der staatlichen Strukturen zu machen, tut es auch keiner. Batout hat jahrelang als Kameramann aus Kriegsgebieten fürs Fernsehen gedreht, auch fürs ZDF. Er hat in den ägyptischen Medien gesagt, es sei ihm nicht klar, warum er seine Ideen dem Zensor zur Autorisierung vorlegen müsse. Oder warum der Filmverband entscheiden soll, ob er eine Drehgenehmigung bekommt. Er würde seinen Kinofilm machen und erst dann dem Zensor das fertige Produkt zeigen.
Hat Batout am Ende die Genehmigung erhalten?
Neidhardt: Der Zensor hat in den Medien seinen Ärger ausgedrückt: "So geht es nicht, dass man zuerst den Film dreht und ihn mir erst danach zeigt." Auch Batout hat sich dazu öffentlich geäußert, aber nach zwei Jahren hat er die Erlaubnis doch bekommen, und "Al Shams" wurde in sieben Kinos in Kairo und Alexandria gezeigt.
Wollen ägyptische Verleiher und Kinobesitzer solche Filme überhaupt zeigen?
Neidhardt: Ägypten ist zwar das einzige arabische Land mit einer wirklichen Filmindustrie, die rund 30 Spielfilme im Jahr produziert. Aber sie alle müssen ihre Produktionskosten an der Kinokasse einspielen. Das ägyptische Kino ist sehr kommerziell und es gibt keine staatliche Filmförderung. Filme wie "Al Shams" ziehen kein großes Publikum an. Die Massen gehen in die Multiplexe, kaufen sich Popcorn und schauen sich lokale Komödien an, die die schwierige politische und soziale Realität in Ägypten ausblenden oder synchronisierte Fassungen von Hollywood-Filmen, genauso wie bei uns in Deutschland.
Aber auch etablierte Filmemacher behandelten schon mal Tabuthemen, zum Beispiel Marwan Hamed im Kassenschlager "Das Yacoubian Building", der 2006 auf der Berlinale bejubelt wurde, weil er Korruption von Politikern zeigt, Schwule, Folter und Polizeigewalt gegen die Moslembrüder.
Neidhardt: Marwan Hamed hat sich vor das Berlinale-Publikum gestellt und gesagt, es gäbe kein Problem mit der Zensur, so schlimm wäre das gar nicht. Was er aber nicht erzählt hat, war, dass er parallel zum Dreh von "Omaret Yakobean" die ganzen Wahlkampfspots für Husni Mubarak gedreht hat, und dass seine Mutter zu der Zeit die Intendantin des staatlichen ägyptischen Fernsehens gewesen ist. Natürlich haben solche Leute gar kein Problem mit der Zensur, weil sie den kleinen Zensor gar nicht brauchen. Und natürlich ließ auch so eine Diktatur eine gewisse Kritik zu.
Sie werden in Berlin auch ein Gespräch mit der Regisseurin und Filmexpertin Viola Shafik aus Kairo führen. Können Sie dazu etwas sagen?
Neidhardt: Viola Shafik war jetzt die ganze Zeit in Ägypten und kann über die Debatten unter Filmemachern nach der Revolution berichten. Am 9. Februar fand in Kairo zum Beispiel eine Demonstration von Filmemachern statt, die mit einem Sit-In vor der Zentrale des Kinoverbandes endete.
Glauben Sie, dass durch die Revolution das Interesse der Ägypter für kritische, politische Filme steigen wird?
Neidhardt: Ich bin keine Prophetin. Meine Freunde in Ägypten denken noch nicht über die Zukunft nach, denn sie sind noch ein bisschen im Schock. 30 Jahre lang hatten sie das Gefühl, dass sie keine Stimme haben. In den letzten Jahren hat sich das Regime immer enger um die Menschen geschnürt. Jetzt haben die Menschen plötzlich so viel Macht, dass sie diese erst verdauen müssen.
Irit Neidhardt führt seit 2002 den Filmverleih und -vertrieb mec film für Filme aus dem Nahen Osten, über den sie regelmäßige Kontakte zu Kollegen in Ägypten hat. Mit diesen Kontakten hat sie die Veranstaltung "Spuren der Veränderung in Ägypten" kurzfristig auf die Beine gestellt. Zu sehen gibt es die Filme und Botschaften am Freitag, 18. Februar, um 16 Uhr im Kino Arsenal 2 am Potsdamer Platz in Berlin.