Rund sechs Millionen Deutsche sind fleischlos glücklich

Rund sechs Millionen Deutsche sind fleischlos glücklich
Vegetarisch leben gilt als überaus angesagt: Inzwischen verzichten schon etwa sechs Millionen Menschen in Deutschland auf den Konsum von Fisch, Fleisch und Wurst. Über den wachsenden Zuspruch freuen sich auch die Veranstalter der Vegetarier-Messe "Veggie-World" an diesem Wochenende in Wiesbaden.
09.02.2011
Von Miriam Bunjes

In den 70er Jahren wurde Charlotte Link wegen ihrer Ernährung als "seltsame Sektiererin" bestaunt. "In Restaurants brachte ich regelmäßig die Küche zur Verzweiflung, wenn ich erklärte, weder Fleisch noch Fisch essen zu wollen", erzählt die Schriftstellerin. Heute staune niemand mehr, die meisten Lokale seien auf fleischlose Alternativen eingerichtet.

"Veggieburger" bei McDonald's

Tatsächlich ist der vegetarische Lebensstil so angesagt wie noch nie - und durch den Dioxin-Skandal quasi in aller Munde. "Lebensmittelskandale gibt es ja leider ständig", sagt Sebastian Zösch, Vorsitzender des Vegetarierbunds Deutschland (Vebu). In der Öffentlichkeit sei die Meinung verbreitet, dass der Futtermittelskandal ohne die Massentierhaltung nicht entstanden wäre. "Es geht darum, was die Billigproduktion von Tieren mit Umwelt und Klima macht, und erstmals geht es auch ernsthaft um die ethische Dimension des Fleischkonsums."

"Vegetarismus boomt", sagt Zösch. "Unsere Mitgliederzahlen steigen, ebenso wie die Anfragen von Großküchen, die vegetarische Tage einführen wollen." Die Nachfrage bestimmt das Angebot: Die Fastfoodkette McDonald's führt seit einem dreiviertel Jahr wieder den Veggieburger, auch die "Bild"-Zeitung informiert über die gesundheitlichen Vorteile der vegetarischen Ernährung, und Karen Duve ist mit ihrem Buch "anständig essen" sowieso Bestseller und Dauergast in den Medien.

Ethische Bedenken als Anstoß

Etwa sechs Millionen Menschen leben nach Angaben des Vegetarierbundes in Deutschland vegetarisch, etwa zehn Prozent von ihnen vegan - das heißt, sie verzichten vollständig auf tierische Produkte wie Milch, Käse, Eier oder Honig. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: "Sich gesund ernähren zu wollen, ist oft der Anstoß", sagt Zösch, selbst Veganer. "Wer über gesundes Essen nachdenkt, schaut auch auf die Produktionsbedingungen und bekommt dann ethische Bedenken."

Bei Charlotte Link war es die Liebe zu den Tieren. Sie hörte schon als Achtjährige auf, sie zu essen. "Im Grund hatte ich mit dem Fleischessen von dem Moment an Probleme, als ich realisierte, dass Tiere sterben müssen, damit ich etwas zu essen habe", sagt die heute 47-Jährige. Gleichzeitig wusste sie, dass sie nicht auf Fleisch angewiesen ist, um zu überleben. "Irgendwann habe ich die Zerrissenheit, in die mich mein Gewissen stürzte, nicht mehr ausgehalten und wurde Vegetarierin."

Ohne erhobenen Zeigefinger

Bei Attila Hildmann war es anders. Der 29-Jährige Physikstudent wird inzwischen als "neuer Kochpapst" und "der Jamie Oliver der fleischlosen Küche" bejubelt. Für sein neuestes Kochbuch bekommt er an diesem Wochenende (12./13. Februar) auf der ersten deutschen Vegetariermesse VeggieWorld in Wiesbaden die Auszeichnung "Kochbuch des Jahres 2011". Und mit seiner Kochshow im Video-Portal Youtube gilt er als Trendsetter.

Hildmann ist seit zehn Jahren Veganer, er nennt sich aber nicht mehr so. "Ich gehöre nicht zu den Leuten, die ständig mit dem Finger auf andere Leute zeigen und mit dem Fressen und Gefressenwerden in der Natur generell ein Problem haben." Für ihn ist fleischlos Lifestyle. "Dazu gehört, mir selbst, der Erde und den Tieren etwas Gutes zu tun." Er ist durch einen "sehr durchtrainierten, sportlichen" Freund zum Vegetarismus gekommen.

Die Lieblingsspeisen schmecken auch fleischlos

"Ich wurde durch meine Ernährung schnell immer fitter und schlanker", sagt Hildmann. "Und weil ich komplett in der Hand haben wollte, was ich esse, auch unterwegs, habe ich dann schnell alle tierischen Produkte vom Speiseplan gestrichen." Verzichten wollte er aber auf nichts. Und fing deshalb an, seine alten Lieblingsgerichte vegan nachzukochen.

Auch Charlotte Link hält nichts vom moralischen Zeigefinger, weil sie nicht abschrecken, sondern Nachahmer finden will. "Die Gesellschaft muss sich irgendwann die Frage stellen, wie viel Gewalt gegen Wehrlose sie in ihrer Mitte zulassen will", sagt die Autorin. Sie hat den Eindruck, dass darüber immer mehr Menschen nachdenken.

epd