Thailändischer Nationalismus: Die Geister, die man rief ...

Thailändischer Nationalismus: Die Geister, die man rief ...
In einem skurrilen Grenzkonflikt streiten sich Thailand und Kambodscha um ein Tempelgrundstrück. Die "Volksallianz für Demokratie" PAD und die Sekte Santi Asoke fordern eine harte Haltung der thailändischen Regierung. Dabei geht es ihnen nicht in erster Linie um den Tempel, sondern um Machtpolitik.
08.02.2011
Von Michael Lenz

Vor dem Amtssitz des thailändischen Ministerpräsidenten in Bangkok haben die reaktionär-nationalistische "Volksallianz für Demokratie" PAD und die mit ihr verbündete buddhistische Sekte Santi Asoke mal wieder die Straße besetzt. Seit fast zwei Wochen schon hausen die Aktivisten der PAD in ihrem Zeltlager, verschanzt hinter Absperrungen. Ein großes Aufgebot von Polizei beäugt auf der anderen Seite der Absperrungsgitter das Treiben der PAD, ohne aber bisher einzugreifen.

Von der großen Bühne im Camp der Nationalisten heizen Redner, Podiumsdiskussionen und Musik die revolutionäre Stimmung der Anhänger der Volksallianz an. Manche sitzen auf Plastikstühlen vor der Bühne, klatschen immer wieder und nicken begeistert, wenn einer der Redner eine weitere Breitseite gegen die verhasste Regierung abfeuert. Andere halten in blauen Kitteln, deren Uniformität an politische Einheitsmode totalitärer Regime erinnert, die Lagerinfrastruktur am Laufen. Die Toilettenhäuschen und Duschen werde sauber gehalten werden, in Garküchen stapeln sich die Säcke mit Reis und Gemüse köcheln in großen Töpfen Mahlzeiten für die Aktivisten. Getreu den Prinzipien der asketischen Santi Asoke, die aus dem offiziellen thailändischen Buddhismus als "Häretiker" ausgeschlossen ist, steht nur vegetarische Küche auf dem Speiseplan.

Zeugnisse der Hochkultur der Khmer

Was wollen die PAD und Santi Asoke? Die beiden Gruppierung im Verein mit der "Patriotischen Front Thailands", dem extremnationalistischen Flügel der PAD, fordern eine harte Haltung der thailändischen Regierung im eskalierenden Konflikt mit dem Nachbarn Kambodscha um den antiken Khmer-Tempel Preah Vihear, der direkt an der Grenze zwischen Kambodscha und Thailand auf dem Gipfel des felsigen Dongrak Bergs liegt.

Preah Vihear gilt als eines der herausragenden architektonischen Zeugnisse der Hochkultur der Khmer. Das Reich der Khmer beherrschte auf seinem Höhepunkt weite Teile des heutigen Thailand bis an die Grenze zu Birma. Für so manchen Archäologen und Kunsthistoriker ist die Anlage des Felsentempels bedeutsamer als die nur wenige Hundert Kilometer entfernte Tempelstadt Angkor. Auch nach dem Niedergang des Reiches der Könige von Angkor im 14. Jahrhundert gilt der alte hinduistische Shivaheiligtum Preah Vihear den thailändischen und kambodschanischen Buddhisten als Heiligtum.

Weltkulturerbe seit 2008

Im Laufe der Jahrhunderte wechselte Preah Vihear häufiger den Besitzer. Anfang des 20. Jahrhunderts schlugen die Franzosen als damalige Kolonialherren Indochinas Preah Vihear wieder Kambodscha zu. Die französischen Karten waren auch die Grundlage für den Internationalen Gerichtshof 1962 Preah Vihear endgültig Kambodscha zuzusprechen. Unklar blieben jedoch die Besitzverhältnisse des 4,6 Quadratkilometer großen Tempelgrundstücks, um das sich Kambodscha und Thailand seitdem streiten.

In einem Memorandum of Understanding vereinbarten die beiden südostasiatischen Königreiche im Jahr 2000, den Grenzkonflikt auf friedliche Weise auf dem Verhandlungsweg zu lösen. 2008 hatten beide Länder zunächst gemeinsam bei der UNESCO die Aufnahme Preah Vihears in die Liste des Weltkulturerbes beantragt. Auf Druck der PAD zog sich Thailands Regierung jedoch von dem Gemeinschaftsantrag zurück. Gleichwohl erklärte die UNESCO im Juli 2008 den Tempel zum Weltkulturerbe. Durch den Beschuss durch thailändische Artillerie seien Teile des historischen Tempels in den letzten Tagen zerstört worden, heißt es in einem Schreiben der kambodschanischen Regierung an die UNESCO.

Spione auf "Erkundungstour" wurden verhaftet

Der Zugang zum Tempel auf dem 525 hohen Berg Dangrok ist nur von der Thaiseite aus möglich. Von kambodschanischer Seite kann der Tempel nur über einen steinigen, steilen, waghalsigen Pfad erreicht werden. Für beide Seiten ist der Tempel ein touristisches Highlight, das erst seit wenigen Jahren wieder für Besucher zugänglich ist, nachdem das Gebiet von Landminen geräumt worden war. Der Norden und Nordosten Kambodschas waren eine umkämpfte Hochburg der Roten Khmer. Erst als 1999 die letzten Truppen der Roten Khmer kapitulierten, wurde der Weg für die Entwicklung der Region und des Tempels frei.

Thailands Nationalisten beanspruchen ohne Wenn und Aber das Grundstück für Thailand. Gezielte Provokationen haben den seit vielen Jahren schwelenden Konflikt jetzt soweit angeheizt, dass es seit dem vergangenen Freitag zwischen Thailand und Kambodscha zu massiven militärischen Auseinandersetzungen im Grenzgebiet gekommen ist. Sieben Mitglieder der Patriotischen Front waren Ende Januar auf einer provokativen "Erkundungstour" im umstrittenen Gebiet, das sich auf kambodschanischem Territorium befindet, von Kambodscha als "Spione" verhaftet worden. Während fünf der Aktivisten nach Blitzprozessen in Kambodscha verurteilt, aber dann umgehend nach Thailand abgeschoben wurden, sitzen die beiden Anführer der Aufklärungsaktion in einem kambodschanischen Gefängnis.

Abt von Santi Asoke: "Es geht um die Regierung"

Der Versuch der Anheizung des thailändischen Nationalismus ist nur Mittel zum Zweck, wie Phra Bodhirak, Gründer und Abt von Santi Asoke, einräumt. "Das Tempelgrundstück ist nicht der Punkt", sagt der Abt im Zelt der Mönche im Protestcamp und fügt hinzu: "Es geht um die Regierung. Die dient nur den Wirtschaftsinteressen, nicht aber dem Volk." Das entbehrt nicht einer gehörigen Portion Ironie: die Regierung von Ministerpräsident Abhisit Vejjajiva ist Ende 2008 nur durch eine Protestaktion von PAD und Santi Asoke gleichen Musters an die Macht gekommen.

Ein halbes Jahr lang hielten 2008 PAD mit dem Segen von Santi Asoke den Regierungssitz besetzt. Als sie dann noch im November 2008 acht Tage lang die beiden internationalen Flughäfen von Bangkok lahmlegten, stürzte die gewählte Regierung von Ministerpräsident Somchai Wongsawat. Der gehörte zum Lager des 2006 durch einen Militärputsch entmachten Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra. Durch monatelange Massenproteste in Bangkok hatte die PAD im Zweckbündnis mit Thailands relativ kleiner Demokratiebewegung den Boden für Putsch gegen den "Tyrannen" bereitet. Dabei waren es die PAD, deren politische Unterstützung dem milliardenschweren IT-Unternehmer Thaksin die politische Karriere bis an die Spitze der Regierung ermöglichte.

Spekulationen um die nächste Wahl

Die Protestaktionen der PAD gegen Thaksin und seine Anhänger sowie jetzt gegen Abhisit sind Fälle enttäuschter politischer Lieben. Weder haben reaktionäre PAD-Anhänger einflussreiche Posten in den jeweiligen Regierungen erhalten, noch haben nach Ansicht der PAD die Regierungen Ernst gemacht mit ihrem Versprechen, die Korruption im Land zu bekämpfen. Zudem hat es die Regierung Abhisit zugelassen, dass gegen eine Reihe von PAD-Führern wegen der militanten Protestaktionen Anklage erhoben wurde.

Der Zeitpunkt der neuen Proteste und des gefährlichen Spiels mit der nationalistischen Karte ist geschickt gewählt. In Thailand muss dieses Jahr ein neues Parlament gewählt werden. Es wird spekuliert, dass Abhisit einen Wahltermin im Frühjahr im Auge hat. Politische Beobachter in Thailand gehen davon aus, dass Puea Thai, die Partei des im Exil lebenden, wie schon in den ersten freien Wahlen nach dem Putsch wieder der Wahlsieger sein könnte.

Wieviel Einfluss hat die PAD?

Trotz Putsch, Verurteilung wegen Korruption und der blutigen Niederschlagung der Proteste der als "Rothemden" bekannten Thaksin-Anhänger im Mai 2010 bleibt der "Thaksinismus" unter den Armen und dem Mittelstand Thailands populär. Ein Wahlsieg von Puea Thai aber würde die PAD in ihrer oft geäußerten Ansicht bestärken, dass das "Volk zu dumm zum wählen ist". Im politisch angespannten Bangkok hält sich daher hartnäckig das Gerücht, die PAD wollten durch den Nationalismus und einen anhaltenden militärischen Konflikts um den alten Hindutempel Preah Vihear einen neuerlichen Militärputsch in Thailand zur Verhinderung der Wahlen provozieren.

Die große Frage in Thailand lautet in diesen Tagen: wie einflussreich ist die PAD noch? Bei der Flughafenbesetzung 2008 genoss die PAD die Unterstützung des alten gesellschaftlich-politischen Establishments Thailands aus Armee und der reichen aristokratischen Elite. Einiges deutet jedoch heute darauf hin, dass die PAD und ihre Hintermänner gespalten sind. Thitinan Pongsudhirak, einer der profiliertesten Analytiker der komplexen thailändischen Politik, schreibt am 8. Februar in der "Bangkok Post": "Es ist zu erwarten, dass die PAD ihre feurige Rhetorik noch verschärfen und durch entsprechende Aktionen begleiten wird....Ob sie wie 2008 an die politisch langen Leine gehalten wird, ist die entscheidende Herausforderung an das Establishment, das sich einem selbstgeschaffenen politischen Monster gegenübersieht."


Michael Lenz arbeitet als freier Journalist in Südostasien und schreibt regelmäßig für evangelisch.de.