Prostitution: "Der Ausstieg ist immer das Ziel"

Prostitution: "Der Ausstieg ist immer das Ziel"
Hilfe beim Ausstieg? Eine kaum benennbare Zahl von Prostituierten arbeitet deutschlandweit "freiwillig" im ältesten Gewerbe der Welt - wobei freiwillig ein sehr dehnbarer Begriff ist. Um diese Frauen und Mädchen zu erreichen, zu unterstützen, zu beraten und ihnen beim Ausstieg zu helfen, wurde die Organisation P.I.N.K. gegründet.
04.02.2011
Von Marijana Babic

Das Konzept P.I.N.K. gewann eine Ausschreibung des Bundesministeriums für Frauen, Familien, Senioren und Jugend im Jahr 2010. Seitdem ist die Hilfsorganisation an vielen Orten vertreten: der Metropole Berlin mit einem traditionell großen Rotlichtmilieu, in Nürnberg als mittegroßer Stadt sowie in Freiburg und in Kehl als Einrichtung der Diakonie, um auch den ländlichen Bereich abzudecken.

Nachdem 2002 Sittenwidrigkeit von Prostitution per Gesetzesbeschluss aufgehoben worden wurde, stellte sich das Gesetz schnell als unzureichend heraus, um Frauen und Mädchen zu schützen und ihnen beim Ausstieg zu helfen. Die Ausschreibung des Bundesministeriums 2009, die P.I.N.K. möglich machte und auf die hin sich die Diakonie bewarb, sollte dies ändern.

Manchmal ist Detektivarbeit gefragt

Bei P.I.N.K soll per Einzelbetreuung die Lösung vom Rotlichtmilieu erfolgen, wobei die Laufzeit des Projekts vorläufig fünf Jahre beträgt. Ziel ist es aber, P.I.N.K. dauerhaft zu etablieren.

Wesentlich beeinflusst ist die Beratungsstelle in Freiburg dabei durch "FreiJa" in Kehl, ebenfalls eine Organisation der Diakonie, die aber auf Menschenhandel und Zwangsprostitution fokussiert ist und vornehmlich im benachbarten Straßburg tätig ist. Die Einrichtung wird dabei wissenschaftlich begleitet und evaluiert, um herauszufinden, was Prostituierte wirklich brauchen. 

Bei der Tätigkeit der Mitarbeiterinnen ist dabei oft echte Detektivarbeit gefragt. Simone Heneka von P.I.N.K. in Freiburg, eine Kollegin vom Gesundheitsamt, eine Mitarbeiterin der AIDS-Hilfe sowie eine Mitarbeiterin der Organisation FreiJa suchen dabei gemeinsam bekannte einschlägige Etablissements in Freiburg auf, um zum Gespräch einzuladen. Sie suchen aber auch eindeutige Zeitungsanzeigen in dem ortseigenen Blatt "Zypresse" heraus oder machen andere Häuser ausfindig, in denen das Rotlichtmilieu in der 200.000 Einwohner zählenden Stadt im Breisgau im Süden von Deutschland zu Hause ist.

Oft sind Schulden der Grund für ein Doppelleben

Gemeinsam offerieren sie das Hilfsangebot, wobei die Beratung aber ausschließlich in den Räumlichkeiten von P.I.N.K. stattfindet. Die Klientel sind dabei in erster Linie deutsche Frauen, die häufig selbstständig arbeiten. Manche arbeiten alleine, manche hingegen haben einen Zuhälter im Hintergrund, sind aber nicht unter Zwang. Vor allem Sexarbeiterinnen in großen Etablissements sind in der Regel gewerblich angemeldet und entrichten regulär Steuern.

Doch der Begriff Freiwilligkeit ist dehnbar: "Viele Frauen arbeiten aus Armutsgründen oder weil sie Schulden haben", sagt Heneka, "auch wenn kein Zuhälter dahinter steht, so suchen sie doch häufig den Ausstieg, weil sie ihre Lage als Misere empfinden. Freiwilligkeit ist daher etwas Relatives."

Zum Teil bringe das Dasein als Prostituierte nämlich große psychische Probleme mit sich: "Viele Frauen leben ein Doppelleben. Zu Hause ist die Familie und das bürgerliche Leben, auf der anderen Seite steht das heimliche Gewerbe als Prostituierte, das keinerlei gesellschaftliches Ansehen genießt."

Schulden seien häufig ein Grund für die Frauen, um ein solches Doppelleben zu führen, erläutert Heneka. Ein kontraproduktiver Schluss: "In der Regel kommen die Frauen mit noch mehr Schulden wieder heraus und sehen sich einer desolaten Situation gegenüber." Viele Frauen seien auch bereits älter, bei manchen kämen gesundheitliche oder Suchtprobleme hinzu. Es gebe aber auch Frauen, die die Prostitution als ihr Leben betrachteten: "Das gibt’s schon. Die wollen das und fühlen sich in dem Gewerbe zu Hause. Aber diese Frauen machen nur einen geringen Teil aus." Die Klientel ist daher denkbar bunt, Hilfe sieht von Fall zu Fall anders aus.

Auch Prostituierte leiden unter der Globalisierung

Dabei unterliegt das Rotlichtmilieu ebenfalls wie andere Teile der Gesellschaft schon seit einigen Jahren gravierenden Umwälzungen. "Zahlreiche Frauen, die schon länger im Geschäft sind, sagen, dass sie aussteigen wollen, weil die Arbeit sich inzwischen negativ verändert hätte", berichtet Heneka. Die Preise seien im Keller, viele Freier forderten "tabulose" Dienste, also Dienste ohne Schutzmaßnahmen, oder verlangten Praktiken, die die Frauen nicht mit sich vereinbaren und nicht tolerieren könnten.

Viele Frauen würden dabei die Verschärfung auf dem Markt auf die Globalisierung zurückführen, sagt die Fachfrau von P.I.N.K.: Durch die Öffnung der Grenzen würden zunehmend osteuropäische Frauen auf den Markt drängen, die aufgrund ihrer Armut und ihrer prekären Situation zu mehr Leistung für weniger Geld bereit seien und so die zumeist deutschen Frauen erpressbar machten.

Doch sind Prostituierte im Raum Freiburg auch aus anderen Gründen zunehmend gefährdet: "Man munkelt, dass die Hells Angels in Freiburg ebenso wie in Norddeutschland das Geschäft mit der Prostitution und mit den Drogen übernehmen wollen", berichtet Heneka, "das ist noch nicht klar, aber wenn es stimmt, leben vor allem die selbstständigen Frauen gefährlicher. Die Hells Angels tolerieren sowas nicht."

Sind selbstständige Frauen sowieso oft im Visier der Zuhälter, die gerne einen Teil des Kuchens haben wollen, so ist die Konfrontation mit den Hells Angels meist für "freie" Prostituierte das Aus. So gab es vor zehn Jahren wesentlich mehr Selbstständige in Freiburg als heute – ein Indiz dafür, dass die kriminellen Rocker ihr Revier bezogen haben.

Der Ausstieg ist immer das Ziel

Die Frauen, die Heneka betreut, sind dabei zwischen 21 und 55 Jahren alt. Manche sind schon 25 Jahre im Gewerbe. Sechs Frauen hat die Verantwortliche von P.I.N.K. zurzeit unter ihren Fittichen. Die Tatsache, dass es sich meist um deutsche Frauen handelt, erleichtert die Arbeit etwas: Somit sind zum Beispiel Aufenthaltsrecht, Ansprüche auf Leistungen wie Arbeitslosengeld II, auch als Hartz IV bekannt, keine Frage. "Das ist meine erste Hilfsleistung für die Frauen", sagt Heneka, "dass ich Leistungsansprüche kläre, damit sie nicht ohne etwas dastehen. Denn mit der Prostitution versiegt auch die Erwerbsquelle."

Schuldenberatung und psychosoziale Unterstützung sind andere Hilfsmöglichkeiten. Sei die Frau akut gefährdet, kämen auch Schutzmaßnahmen wie eine Notunterbringung in Frage. Gegebenenfalls werde auch die Frage nach einer Wohnung geklärt. Je nach Bildungsstand kämen unterschiedliche Hilfen als Option in Betracht: "Wenn die Frau natürlich keinen Abschluss und keine Ausbildung hat, dann wird es schwierig." Doch zahlreiche Frauen würden den Absprung von der Prostitution trotzdem schaffen.

Denn auch wenn die Frauen "freiwillig" arbeiten, hinterlässt ihre zumeist jahrelange Tätigkeit doch Narben und Spuren: "Viele leiden unter ihrem Doppelleben oder haben enorme psychische Probleme", sagt Heneka, "die meisten realisieren das während ihrer Tätigkeit als Prostituierte gar nicht richtig. Doch später kann zum Beispiel eine Beziehungsunfähigkeit die Folge sein." Ein Ausstieg ist daher immer das Ziel von P.I.N.K. – für ein menschenwürdiges Leben ohne Angst.


Marijana Babic ist freie Autorin.