Verkauft: Prostitution zwischen Straßburg und Kehl

Verkauft: Prostitution zwischen Straßburg und Kehl
Jährlich werden Hunderttausende von Frauen zur Prostitution gezwungen. Das Europa der offenen Grenzen erleichtert Menschenhändlern ihr Tun, denn meist stammen die Frauen und Mädchen, die vorzugsweise in Grenzregionen den Straßenstrich und die Bordelle bevölkern, aus Mittel- und Osteuropa. So auch in Straßburg und der angrenzenden Stadt Kehl. Dort gehören sie zum gewohnten Straßenbild: Prostituierte, die nachts die Europabrücke nach Straßburg passieren, um dann auf dem Boulevard de Nancy, dem Quai Pasteur, der Avenue des Voges oder anderen einschlägigen Vierteln ihre Dienste anzubieten.
01.02.2011
Von Marijana Babic

In engen, kurzen Röcken, mit tiefen Ausschnitten und hochhackigen Schuhen harren die Frauen sieben Tage die Woche und 365 Tage im Jahr auch bei Eiseskälte aus. Autos fahren langsam vorbei, mustern die Mädchen wie Ware, entscheiden sich schließlich für 30 Euro mit der Hand oder für 50 Euro für Sex. Die Mafias haben die Trottoirs dabei sorgfältig aufgeteilt. Grenzübertritte bedeuten Krieg.

Obwohl in Frankreich Bordelle und Zuhälterei offiziell verboten sind, wird das Straßengeschäft mit dem Sex geduldet. Zuhälter nutzen dabei gezielt die unterschiedliche Rechtsprechung in zwei Ländern aus. Denn die Prostituierten, bei denen es sich nicht selten um Zwangsprostituierte handelt, nächtigen im deutschen Kehl und "arbeiten" in Frankreich. So entziehen sich die Zuhälter der französischen Justiz. Auch dank der Grenznähe und der Flut an Politikern und Journalisten, die mit dem EU-Parlament nach Straßburg kommen, ist die Stadt eine Metropole der käuflichen Liebe, obwohl Hilfsorganisationen betonen, dass die Freier aus allen Schichten der Gesellschaft kommen. Und die Zuhälter versorgen den Markt gewissenhaft: Die Fluktuation unter den Betroffenen ist groß, wie die zuständige Polizei in Kehl berichtet.

Osteuropäerinnen und afrikanische Frauen

In den letzten Jahren hat sich dabei eine klare Struktur bei den Prostituierten abgezeichnet: Überdurchschnittlich oft vertreten sind Rumäninnen, Tschechinnen, Bulgarinnen und Polinnen, die die Russinnen zahlenmäßig abgelöst haben, sowie Nigerianerinnen und Frauen aus der Dominikanischen Republik. Dies belegen nicht nur die Statistiken der örtlichen Hilfsorganisationen, sondern auch Zahlen des Landeskriminalamtes. Denn vor allem diese Länder haben sich als Drehscheiben von organisierter Kriminalität und als Zentren von Menschenhändler-Ringen herauskristallisiert. Mit falschen Versprechungen in den Westen gelockt, sehen sich die Frauen, die in der Mehrzahl unter 25 Jahren alt sind, einmal angekommen mit Gewalt, Vergewaltigungen, Drohungen und engmaschiger Überwachung konfrontiert. Nicht selten übernehmen dabei ältere Prostituierte die Rolle der Überwacherin auf der Straße.

Genau dieses Schicksal widerfuhr der 26-jährigen Marieta G. aus Slowenien. In ihrer Heimat versprach ein Bekannter der blonden, zierlichen Slowenin eine lukrative Arbeit in der Gastronomie in Deutschland. Doch das vermeintliche Paradies entpuppte sich als Gefängnis. Sechs Wochen lang musste Marieta G. Schläge und Vergewaltigungen über sich ergehen lassen, bis sie sich verzweifelt an einen "befreundeten" Freier wandte, der die Hilfsorganisation FreiJa in Kehl, eine Einrichtung der Diakonie, kontaktierte.

Die Slowenin wagte es nicht mehr aus dem Haus zu gehen, litt unter Ess- und Schlafstörungen. Da sie sich in einer akuten Gefahrensituation befand, wurde sie in einer Notunterkunft untergebracht, wo sie psychologisch stabilisiert und mit dem Notwendigsten versorgt wurde. Nach langem Überlegen entschied sich Marieta G., in ihre Heimat zurückzukehren. Anzeige zu erstatten wagte sie jedoch nicht. Zu groß war die Angst vor den brutalen Zuhältern.

Ein perfides Spiel mit den Hoffnungen

Versprechungen von angeblich lukrativer Arbeit im Westen oder Heiratsversprechen sind oft die Tricks der Menschenhändler, mit denen sie ihre Opfer, die der Armut in ihrem Heimatland entkommen wollen, in die Falle locken. Denn wirtschaftliche Not und Perspektivlosigkeit lassen das Leben im vermeintlich goldenen Westen umso attraktiver erscheinen. Ein perfides Spiel mit den Hoffnungen der Betroffenen. Doch die Zuhälter haben noch andere Druckmittel, um ihre Opfer gefügig zu machen: Talina I. beispielsweise arbeitet in einem Bordell in Grenznähe. Ihr eigener Ehemann hat die Bulgarin an das Bordell verkauft und kassiert regelmäßig Geld dafür. Die Ehefrau hält er in Schach, indem er ihr droht, den drei gemeinsamen Kindern, die bei ihm leben, etwas anzutun. Seit drei Jahren harrt die 29-Jährige nun aus – aus Angst. Ein Freier war auf ihre Situation aufmerksam geworden und versuchte zu helfen. Umsonst.

Doch wer sind die Freier? "Pas ma mère, pas ma sœur" - "Nicht meine Mutter, nicht meine Schwester". Das Plakat, das im Büro der Hilfsorganisation "Le Nid" in Straßburg hängt und den muskulösen tätowierten Oberarm eines Mannes zeigt, soll an die Einstellung von Freiern appellieren. Denn Familienmitgliedern würden sie manches nicht antun - doch umso brutaler gehen viele mit Prostituierten um, die nachts den Straßenstrich zwischen Straßburg und Kehl bevölkern.

Die Nachfrage bestimmt den Markt

Judith M. von FreiJa findet es wichtig, den Blick auf die Freier zu lenken: "Im gesellschaftlichen Diskurs liegt der Schwerpunkt meist auf dem "Angebot" der Frau und weniger auf der Nachfrage des Mannes, die den "Markt" ja bestimmt." Statistisch suchen täglich eine Million Männer in Deutschland eine Prostituierte aufsuchen. "Aber über die Freier kann ich nicht viel sagen", sagt Judith M., "sie bleiben im Dunkeln, in ihren Autos, ungesehen und unerkannt, ihre Motive bleiben versteckt. Das spiegelt unsere gesellschaftliche Situation wieder."

So viel allerdings könne sie berichten: Auf dem Straßenstrich würden die Freier immer dreister, würden immer mehr für immer weniger Geld verlangen. Viele Frauen beklagen sich bei ihr über gewaltbereite Männer, vom Diebstahl bis hin zur Vergewaltigung. "Sicher zieht der Straßenstrich eine bestimmte Klientel an", betont die Hilfsarbeiterin, "denn hier sind oft Frauen vertreten, die aus Armut und Perspektivlosigkeit heraus handeln und vieles in Kauf nehmen."

Doch auch Freier kontaktieren manchmal die Hilfsorganisationen. Männer, die Rat suchten, oder sich mit Hinweisen meldeten, träfen die betroffenen Frauen meist in Bordellen oder Wohnungen an und nicht auf dem Straßenstrich, sagt Judith M. Werde deutlich, dass die Frau unter Zwang handelt, gäben diese Männer häufig Hilfestellung zum Ausstieg. "Wir wollen daher die Freier nicht grundsätzlich kriminalisieren, sondern sensibilisieren", erklärt die FreiJa-Mitarbeiterin.

Politiker als Kunden im Sex-Geschäft?

Hartnäckige Gerüchte besagen, dass auch EU-Parlamentarier in Straßburg zu den Freiern gehören. Vor zwei Jahren prangerte die FDP-Abgeordnete Silvana Koch-Mehrin öffentlich an, dass die Straßen zum Parlament an Sitzungstagen voller Prostituierte seien, deren Dienste von Abgeordneten in Anspruch genommen würden. Doch Koch-Mehrin musste ihren Mut teuer bezahlen: Die Parlamentarier straften die "Nestbeschmutzerin" nicht nur verbal ab, der Deutschen gelang außerdem nur denkbar knapp die Wiederwahl zur Vize-Präsidentin. Sie fiel in Ungnade.

Heute möchte sie zum Thema keine Stellung mehr beziehen. Isabelle Collot von "Le Nid" bezweifelt jedoch, dass EU-Abgeordnete eine wesentliche Rolle im Sexgeschäft spielen. "Viele Journalisten fragen danach, aber das trifft nicht die Realität", sagt Collot. Die Freier rekrutierten aus allen gesellschaftlichen Schichten.

Wer die Freier eigentlich sind und wer sie nun genau als Ware niederdrückt, das spielt für die Frauen auf dem Straßenstrich in Straßburg auch keine Rolle. Die meisten sind desillusioniert. Der Druck der Zuhälter, die ständige Überwachung, die immer latent vorhandene Androhung von Gewalt macht mürbe. Irina, 19, aus Rumänien: "Wenn ein Mann Interesse hat an einer Frau, kann er ihr helfen, klar. Aber den meisten Männern ist es egal, wie es uns geht."


Marijana Babic ist freie Autorin.