Jerusalemer Konservatorium: "Eine Insel mitten im Wahnsinn"

Jerusalemer Konservatorium: "Eine Insel mitten im Wahnsinn"
Im Jerusalemer "Magnificat Institut" musizieren Juden, Christen und Muslime. Für die Palästinenser ist die Musikschule eine einzigartige Gelegenheit, einen Beruf zu erlernen.
24.01.2011
Von Susanne Knaul

Wenn Salech die Querflöte an den Mund setzt, scheint er die Welt um sich herum zu vergessen. Aber heute ist Gehörbildung dran, und das ist für ihn eine Qual. Der 13-Jährige ist gerade im Stimmbruch und brummt peinlich berührt die Intervalle, die Lehrerin Hanija Sabbara ihm vorsingt. Zu viert sitzen die Schüler der Musikschule "Magnificat Institut" in Jerusalems Altstadt auf der Bank und lernen das Singen vom Blatt.

"Es ist, als träte man in eine andere Welt"

Ohne das geht es nicht in dem Institut, wo nach guter alter italienischer Tradition das Musizieren gelehrt wird - und wo Juden, Christen und Muslime so selbstverständlich zusammenkommen, als gäbe es keinen Nahostkonflikt. "Unsere Schule ist wie eine Insel mitten in diesem Wahnsinn", schwärmt Lehrerin Sabbara, eine Christin. "Wenn man herkommt, ist es, als träte man in eine andere Welt." In zehn Räumen wird heute unterrichtet, das Gebäude gehört dem San Salvatore Kloster.

250 Schüler lernen mindestens dreimal die Woche Tonleitern und Arpeggios, spielen Etüden und Fugen und singen. Sie machen viel christliche Musik. Denn um gut ausgebildete Nachwuchsmusiker für die Kirchenmusik ging es dem Gründer der Schule, dem Franziskanermönch Armando Pierucci, als er 1995 die Türen des "Magnificat Instituts" für seine Schüler öffnete, die aus dem Osten wie dem Westen Jerusalems zu ihm kamen.

Zweimal am Tag sitzt der heute 75-Jährige in der Grabeskirche an der Orgel, um die Messe zu begleiten. "Wir fragen niemanden, was er ist, ob Jude, Muslim oder Christ", sagt er, weder die Schüler noch die Lehrer. Mehr als die Hälfte der Musikpädagogen stammt aus den früheren Sowjetstaaten. Mit der großen Einwanderungswelle Anfang der 90er Jahre kamen auch zahlreiche Virtuosen nach Israel.

Unterricht in zehn Sprachen

Die Kirchenleitung hätte nichts dagegen, wenn ein Jude oder ein Muslim an seiner Stelle die Orgel spielte, versichert der Mönch. Aber für die andersgläubigen Schüler sei es doch oft nicht unproblematisch, in einer Kirche zu spielen.

Für die Mutter der kleinen Dana wäre es indes "völlig in Ordnung", wenn ihre heute Sechsjährige eines Tages in der Grabeskirche auftreten würde. Shoham Assali ist islamischen Glaubens. Sie findet nichts ungewöhnlich daran, dass Danas Klavierlehrer Jude ist. "Uns geht es nicht um die Unterschiede", erklärt die junge Mutter. "Religion ist kein Thema, hier geht es um die Musik."

Auch Hani Boullata, dessen kleine Tochter Jouda im ersten Jahr Geige spielt, findet, dass die religiösen Unterschiede keine Rolle spielen, "solange keiner rassistisch ist". "Wir sind schließlich alle Menschen."

Unterrichtet wird in zehn Sprachen, je nachdem, wer gerade im Klassenraum sitzt. Arabisch und Hebräisch sind die häufigsten Sprachen, Englisch wird in den gemischten Klassen der Gehörbildung und beim Chor gesprochen, außerdem Russisch, Spanisch, sogar Deutsch. "Lehrer und Schüler finden schon einen Weg, sich zu verständigen", sagt der italienische Mönch Armando Pierucci.

"Magnificat Institut" bietet anerkannten Studienabschluss

Schon als 16-Jähriger hatte er sich dem Franziskanerorden angeschlossen. Autodidaktisch lernte er die Akkorde, um Choräle zu begleiten, später schickte ihn der Orden zum Musikstudium an die Universität. Kirchenmusik zu machen ist die Verwirklichung seines Traums.

Das "Magnificat Institut" kooperiert mit einem italienischen Konservatorium. Damit ist es möglich, in Jerusalem einen europaweit anerkannten Studienabschluss zu machen. Mit sichtlicher Überwindung rät der Mönch den jungen Leuten, die auf eine berufliche Karriere hoffen, Schlagzeug zu lernen. "Auch mit Klavier kann man Geld verdienen", sagt er, "aber Pianisten gibt es nun einmal wie Sand am Meer".

Gerade für die Palästinenser ist die Musikschule, die 400 US-Dollar pro Jahr kostet, eine einzigartige Gelegenheit, einen Beruf zu erlernen. Die unterschiedlichen Sprachen gehören hier einfach dazu. "Für die Kinder wird die Begegnung ganz schnell normal", sagt die christliche Palästinenserin Sabbara, die selbst einst auf hebräisch studieren musste, um in Westjerusalem Examen zu machen. "Es kann eine tolle Bindung entstehen, wenn man zusammen Musik macht."

epd