Sorge um technische Fehler in deutschen Kernkraftwerken

Sorge um technische Fehler in deutschen Kernkraftwerken
Ein ominöser Riss im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld, fehlende Nachrüstungen in Neckarwestheim: Atomkraft-Gegner sehen sich bestätigt, dass die Laufzeitverlängerung ein Risiko ist. Die Betreiber sorgen sich derweil darum, dass zuviel Ökostrom ihr Geschäft verdirbt.
23.01.2011
Von Georg Ismar

Gleich am 1. Januar, dem Inkrafttreten des reformierten Atomgesetzes, wurde die neue Flexibilität auf eine harte Probe gestellt. Nach dem Böllern und Anstoßen auf das neue Jahr gingen die meisten Deutschen nach und nach schlafen. Der Stromverbrauch ging runter. Aber zeitgleich kam starker Wind auf und die Stromproduktion aus Windkraft ging rauf. Dieser Strom genießt Vorfahrt im Netz. Und so musste allein das Atomkraftwerk im niedersächsischen Lingen mit einer Leistung von 1.400 Megawatt (MW) auf 800 MW heruntergefahren werden.

Künftig wird dies häufiger vorkommen, denn der Ökostromanteil steigt. Und die Regierung steht zum uneingeschränkten Vorrang für das Einspeisen von grünem Strom. "Die Anlagen sind von Anfang an darauf ausgelegt worden, auch stärker rauf- und runterzufahren, ohne dass es Probleme für die Anlagen oder das Material gibt", sagt RWE-Vorstand Gerd Jäger. "Der Kernenergie kommt hier auch zugute, dass sie relativ niedrige Temperaturen von 300 Grad und niedrigere Drücke hat."

Die Grünen und Organisationen wie die Deutsche Umwelthilfe fürchten hingegen starke Belastungen mit möglicherweise gefährlichen Materialermüdungen. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) steht unter verschärfter Beobachtung, ob er darauf dringt, dass die Meiler nach den höchsten Sicherheitsstandards nachgerüstet werden, um das Restrisiko eines schweren Atomunfalls auf das Minimum zu minimieren.

Neckarwestheim I sollte eigentlich abgeschaltet sein

Beispiel Neckarwestheim I: EnBW ließ den Meiler freiwillig längere Zeit stillstehen und rettete ihn so in die Laufzeitverlängerung. Eigentlich sollte er längst abgeschaltet sein. Die Deutsche Umwelthilfe kritisiert, dass die Notstromversorgung veraltet sei. Außerdem verfüge der Atommeiler bei einem Störfall über geringere Kapazitäten an Kühlmittel und -pumpen. Ein EnBW-Sprecher betont aber: "Unsere Atomanlagen sind sicher."

Der Druckwasserreaktor war 1976 ans Netz gegangen und soll nun acht Jahre länger am Netz bleiben. "Dass Neckarwestheim I ohne Sicherheitsnachrüstungen in die schwarz-gelbe Laufzeitverlängerung gehen kann, ist eine direkte Folge der von Minister Röttgen eingeführten Absenkung der Sicherheitsstandards im Atomgesetz", sagt die atompolitische Sprecherin der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl. Röttgen solle dazu Anfang Februar dem Bundestags-Umweltausschuss Rede und Antwort stehen. Dieser sagt, die Sicherheit genieße oberste Priorität.

Ein Riss im AKW Grafenrheinfeld sorgt für Ungewissheit

Allerdings muss sich Röttgen auch in einem zweiten Fall kritische Nachfragen gefallen lassen. Ein angeblicher Anriss oder Riss im Eon-Atommeiler Grafenrheinfeld, von dem unbekannt ist, wie lange er schon existiert und ob er wächst, bereitet Unbehagen. Eon will das Bauteil nun während einer Revision im März vorsorglich austauschen. Das betreffende Rohr liegt im Primärkreislauf nahe des Reaktorkerns. "Ich kenne keinen der Atomaufsicht zur Kenntnis gelangten Fall, in dem eine deutsche Anlage bei einem solchen Befund weiter betrieben worden wäre", kritisiert der frühere Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, Wolfgang Renneberg.

Das Umweltministerium verweist auf ihr Beratergremium, die Reaktor-Sicherheitskommission (RSK), die kein Abschalten zur Kontrolle des Rohrteils empfohlen habe. Aber die Gesellschaft für Reaktor-und Anlagensicherheit (GRS) soll nun im Auftrag der Ministeriums alle Atomkraftwerksbetreiber über den Anriss oder Riss informieren, damit diese eventuelle Überprüfungen vornehmen. "Es ist nicht sicher, ob das eine Lappalie ist", sagt Renneberg.

Die Betreiber sorgt derweil vor allem eine große unternehmerische Unsicherheit. Nicht wenige befürchten wegen des bereits knapp 20-prozentigen Ökostromanteils einen Systemkonflikt zwischen grünem Strom und der Kernenergie. Eon-Chef Johannes Teyssen wirbt derzeit eifrig für eine EU-weite Anpassung der Förderung, die die deutsche Ökostrom-Produktion abbremsen könnte. Die Konzerne spüren immer deutlicher: Der Ökostrom verdrängt wegen des Einspeisevorrangs zunehmend des für sie lukrativen Atomstrom, sie können nicht mehr so viel Strom wie eigentlich möglich produzieren.

dpa