"Stralsund - Außer Kontrolle", 10. Januar, 20.15 Uhr im Zweiten
Das muss man sich erst mal trauen: Mittendrin kippt der Film. Er bleibt zwar Thriller, wechselt aber das Vorzeichen. "Stralsund – Außer Kontrolle" beginnt als Polizeifilm, der sich deutlich vom üblichen TV-Krimi abhebt. Die Nähe zu Lars Beckers "Nachtschicht"-Reihe ist deutlich größer als etwa zum "Tatort": weil die Polizisten wie in Beckers Filmen eher Getriebene als Handelnde sind. Sie haben keine Zeit für Ermittlungen, sondern müssen spontan entscheiden. Prototypisch für diesen Fahndungsstil ist Kriminalkommissarin Nina Petersen (Katharina Wackernagel); sie war auch schon die Heldin des ersten Stralsund-Krimis, "Mörderische Verfolgung" (2009). Beide stammen ebenso vom bewährten Duo Sven S. Poser (Buch) und Martin Eigler (Buch und Regie) wie die ZDF-Reihe "Solo für Schwarz" (mit der verstorbenen Barbara Rudnik).
Stärker als in den anderen Produktionen steht diesmal das Ermittler-Ensemble im Mittelpunkt. Natürlich dreht sich alles um den eigentlichen Fall, die clever eingefädelte Entführung eines Geldtransporters, aber die Animositäten zwischen den Beamten drängeln sich immer wieder in den Vordergrund: Die alten Hasen Hidde und Lietz (Alexander Held, Wotan Wilke Möhring) fühlen sich von den neuen Sitten des neuen Chefs (Michael Rotschopf) provoziert. Der Kollege hat zuvor für die Interne Ermittlung gearbeitet, was vor allem Lietz beunruhigt. Dass dessen Affäre mit Nina Petersen eher unschön endete, ist dem Arbeitsklima auch nicht gerade zuträglich. Außerdem fordert der Fall höchste Konzentration: Ein Wachmann musste bereits sterben.
Im Transporter wartet Paula Selow (Melika Foroutan) vergeblich auf Hilfe: Die Gangster (Max Hopp, Justus von Dohnányi) haben offenbar Insider-Wissen und außerdem einen raffinierten Plan. Dank Petersens Spürnase aber wendet sich das Blatt; und damit auch das Genre. Als einer der Ganoven ins Netz geht, beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel. Aus dem Polizeifilm wird ein Psychothriller: Vom Komplizen und von der Beute fehlt jede Spur. Statt dessen gibt es per Fax ein Ultimatum: Kommt der Verbrecher nicht frei, werden in Stralsund Bomben hochgehen.
Großer optischer Aufwand, eine erstklassige Kameraarbeit (Christoph Chassée), ausgezeichnete Schauspieler, Spannung von der ersten bis zur letzten Sekunde, dazu immer wieder Handlungswendungen, weil die Figuren überraschende neue Seiten offenbaren: Der Film macht große Lust auf weitere Thriller aus Stralsund.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).